Der Modigliani Skandal
entkommen und würde niemals wieder dorthin zurückkehren.
Wie, fragte sie sich unwillkürlich, wird wohl Peter darauf reagieren?
Sie ließ das lippenstift-verfleckte Tissue in einen Abfalleimer fallen. Dann ging sie hinaus. Das Gebäude verließ sie durch einen Seitenausgang. An der Bordkante wartete der Lieferwagen mit Peter am Steuer. Mitch befand sich bereits im hinteren Teil.
Anne kletterte auf den Beifahrersitz und küßte Peter.
»Hallo, Liebling«, sagte er. Er ließ den Motor an, und sie fuhren los.
Sein Gesicht war bereits wieder voller dichter Bartstoppeln:
In kaum einer Woche würde er, wie sie wußte, wieder einen recht respektablen Bart haben. Sein Haar umrahmte sein Gesicht und fiel hinab bis zu den Schultern, so wie Anne das bei ihm mochte.
Im dichten Verkehr kamen sie nur langsam voran. Anne schloß die Augen, und ihr Körper schien völlig zu erschlaffen. Das Nachlassen der physischen und nervlichen Anspannung war für sie ein bewußt genossenes Vergnügen.
In Balham hielt Peter vor einem großen, ein wenig abgelegenen Haus. Er ging zur Tür und klopfte. Die Frau, die öffnete, hielt ein Baby in den Armen. Peter nahm das Baby und kam zurück. Auf einem Schild vor dem Haus stand: »Greenhill Day Nursery.« Er stieg ein und ließ Vibeke auf Annes Schoß plumpsen.
Sie schloß das Baby fest in ihre Arme. »Liebling, hat dir Mummy gestern abend gefehlt?«
»Allo«, sagte Vibeke.
Peter sagte: »Wir haben's uns gutgehen lassen, Vibeke, stimmt's? Porridge zum Tee und Kuchen zum Frühstück.«
Anne unterdrückte aufsteigende Tränen.
Als sie dann zu Hause waren, holte Peter eine Flasche Champagner aus dem Kühlschrank und erklärte, jetzt werde gefeiert. Sie saßen im Atelier, tranken den perlenden Wein und lachten, während sie sich die kritischen Momente der Eskapade in Erinnerung riefen.
Mitch begann ein Bankformular für die Schecks auszufüllen. Als er die Gesamtsumme errechnet hatte, sagte er: »Fünfhunderttausend und einundvierzig Pfund, meine Freunde.«
Irgendwie schienen diese Worte Annes Freude zu dämpfen. Plötzlich fühlte sie sich müde. Sie stand auf. »Ich werde mir das Haar wieder mausfarben färben«, sagte sie. »Bis später.«
Auch Mitch erhob sich. »Ich möchte noch zur Bank, bevor die schließen. Je eher wir diese Schecks einreichen, desto besser.«
»Was ist mit den Lederhüllen für die Bilder?« fragte Peter. »Sollten wir nicht sehen, daß wir die loswerden?«
»Wirf sie heute nacht in den Kanal«, erwiderte Mitch. Er ging die Treppe hinunter, zog seinen Rollkragenpullover aus, schlüpfte dann in ein Hemd, band sich eine Krawatte um, griff nach seinem Jackett.
Peter kam die Treppe herab. »Nimmst du den Lieferwagen?«
»Nein. Um ganz auf Nummer Sicher zu gehen, fahre ich lieber mit der U-Bahn.« Er öffnete die Vordertür. »Bis später.«
Um die Bank in der City zu erreichen, brauchte er nur vierzig Minuten. Die Gesamtsumme auf dem Bankformular veranlaßte den Kassierer nicht einmal, die Augenbrauen zu heben. Er prüfte die Zahlen, stempelte den Kontrollabschnitt und reichte Mitch den Beleg.
»Ich würde gern den Manager sprechen, falls das möglich ist«, sagte Mitch.
Der Kassierer verschwand für ein paar Minuten. Als er zurückkam, schloß er die Tür auf und ließ Mitch eintreten. So einfach ist das also, hinter die kugelsichere Zwischenwand zu gelangen, dachte Mitch. Und grinste unwillkürlich, als ihm bewußt wurde, daß er anfing, wie ein Krimineller zu denken. Er hatte einmal drei Stunden lang mit einer Gruppe von Marxisten debattiert, die behaupteten, Verbrecher seien der militanteste Teil der Arbeiterklasse.
Der Bankmanager war ein kleiner, pausbäckiger und gemütlicher Mann. In der Hand hielt er ein Blatt Papier mit einem Namen und einer Zahlenkolonne. »Ich freue mich, daß Sie unsere Dienste in Anspruch nehmen, Mr. Hollows«, sagte er zu Mitch. »Wie ich sehe, beträgt Ihre Einlage bei uns über eine halbe Million.«
»Ein erfolgreich abgeschlossenes Geschäft«, sagte Mitch. »Heutzutage sind auf dem Kunstmarkt große Summen keine Seltenheit.«
»Sie und Mr. Cox sind Universitätslehrer, wenn ich das richtig in Erinnerung habe.«
»Ja, wir haben uns entschlossen, aus unserer Sachkenntnis auf dem Markt Nutzen zu ziehen - was uns nicht zum Nachteil ausgeschlagen ist, wie Sie sehen können.«
»Ausgezeichnet. Nun, gäbe es vielleicht noch etwas, das wir für Sie tun können?«
»Ja. Sobald das Geld für diese Schecks verfügbar ist,
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