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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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Bild mit aller Kraft gegen das Tellerbord, wo es sich begleitet vom Lärm zersplitternden Glases in seine Bestandteile auflöste.
    »Mistkerl! Hab ich es doch genau gewusst, dass du zuletzt noch gewinnen würdest!«
    Durch den Schleier des Wodkas schlich sich ein seltsames Gefühl in Violaines Bewusstsein. »Gib deine Hand, du schön und zart Gebild!« Eine Art von freundlicher Einladung einer nicht greifbaren Person, die sie führte, sie bei der Hand nahm, sie mit sich nehmen wollte an einen Ort, wo sie es alles in allem nicht so schlecht haben würde, wie sie es sich vorstellte.
    »Nein!«, schrie sie. »Nein, nein und nochmals nein!«
    Sie stampfte mit dem Fuß auf den Teppich wie ein launisches Kind. Sie schenkte sich einen vollen Becher Wodka ein. Mit einem kristallenen Klirren schlug der Flaschenhals gegen den Silberrand des Bechers. Sie trank den Becher in einem Zug leer. Sie lauschte. Es herrschte noch immer tiefe Stille. Noch immer war die Stille körperlich anwesend, wie eine lebende Person. Das von draußen kommende Geräusch des Windes und des Baches betonte sie noch.
    Um den ewigen Appetit der Schädlinge so lange aussetzen zu lassen, bedurfte es schon eines unbekannten Feindes, der ständig auf der Hut unerkannt umherschweifte, alles berührend, vielleicht in vielfältiger Form in Erscheinung tretend, vielleicht auch ohne jede Substanz.
    Violaine stieß ein schrilles Lachen aus. Er konnte dort oben sein, in ihrem Zimmer mitten unter den Parfümfläschchen und den betont erotischen Negligés, mit denen sie gern ihre Liebesnächte aufwertete. Vielleicht wartete er schon nackt auf sie auf ihrem Laken, aber in welcher unbeschreiblichen Nacktheit würde er sich zeigen? Sie schüttelte sich. Der Wodka begann ihr übel mitzuspielen. Normalerweise machten sich seine Auswirkungen erst bemerkbar, wenn sie schon tief eingeschlafen war. Jetzt hingegen stand sie aufrecht da, schwankend, aber aufrecht; vergeblich versuchte sie, ihren Verstand wiederzuerlangen, und spürte, wie unter dem Mantel der Trunkenheit das Entsetzen in ihr hochkam.
    Plötzlich stieß sie einen schrecklichen Schrei aus, der kein Echo fand. Sie presste sich die Hand vor den Mund wie bei einem unerträglichen Anblick. Sie stürzte hinaus. Plötzlich war ihr eingefallen, dass sie in ihrem Delage den Gegenstand vergessen hatte, den sie in Thoard bei ihren Holzfällern geholt hatte.
    Der Wind kam ihr mit voller Wucht entgegen, holte sie fast von den Beinen. In Verbindung mit der Wirkung des Alkohols erlöste er Violaine von dem bisschen Urteilsvermögen, das ihr noch geblieben war. Sie schwankte, stützte sich gegen den Holzpfeiler des Vordachs. Sie brauchte mehr als eine Minute, um wieder durchzuatmen und den Brechreiz zu unterdrücken, der sie, sobald die Türschwelle überschritten war, überwältigt hatte. Sie zögerte lange vor der Treppe, die sie normalerweise fröhlich hinunterrannte. Diese Nacht erschien sie ihr wie ein unüberwindliches Hindernis. Dennoch wagte sie sich auf die Treppe. Mit beiden Händen am Geländer festgeklammert wie eine alte Frau brauchte sie für jede Stufe zwei Anläufe. Als sie unter dem Vordach ins Freie hinaustrat, erschien ihr das Auto wie ein fernes, verheißenes Land. Aber noch war sie nicht dort. Sie konnte das Paket auf der Rückbank nicht demjenigen überlassen, der sich angekündigt hatte.
    Sie ruderte mit den Armen, stolperte, schwankte wie eine willenlose Marionette im Wind, der ihr voll ins Gesicht peitschte und ihren Lungen Leben einhauchte, während der Alkohol gleichzeitig ihr Bewusstsein trübte, ihre Reflexe lähmte und ihr jede Möglichkeit nahm, folgerichtig zu denken.
    Sie ließ sich auf die Motorhaube sinken, die Arme nach vorn gestreckt, die Wangen auf dem kalten Blech der Karosserie. Ihr kurzer Rock schob sich hoch und entblößte die Oberschenkel, die der Wind streichelte.
    »Ich werde krepieren!«, hauchte sie.
    Sie empfand Übelkeit, hatte weiche Knie, und die Migräne durchbohrte ihre Stirn mit Lanzenstichen. Eine einzige fixe Idee beherrschte ihren verwirrten Verstand: das Paket dort, mindestens drei Meter entfernt, auf der Rückbank. Sie musste sich nur aufrichten, einige Schritte gehen, die Tür öffnen und es an sich nehmen. Für diese Unternehmung brauchte sie zuerst einmal drei Minuten des Nachdenkens, der Überwindung, der Anstrengung und der Konzentration.
    Vergeblich quälte sie sich mit dem Schloss der Türklinke ab, ruinierte dabei ihre Fingernägel, bevor sie bemerkte, dass es

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