Der Mörder mit der schönen Handschrift
von innen verriegelt war. Also öffnete sie die Vordertür und beugte sich über den Sitz. Die Rückenlehne war sehr hoch und sehr breit. Violaine blieb mit dem Bauch auf ihr hängen und ruderte mit den Armen in der Luft. Sie zappelte so lange, bis sie nach hinten durchrutschte und wie ein Sack auf die Rückbank fiel, von Schwindel ergriffen, die Nase an den grünlichen Lederbezug gedrückt, der noch ein zwanzig Jahre altes Parfüm verströmte.
Dieser Geruch ließ sie in ein idiotisches Lachen ausbrechen. Erst an diesem Nachmittag, fiel ihr ein, hatte sie die Nase gegen dieses duftende Leder gedrückt. Sie hatte sich dort mit einer Besessenheit der Liebe hingegeben, die durch den mangelnden Komfort noch verzehnfacht wurde. Aber war das wirklich sie selbst gewesen? Und wo? Und mit wem? Ihr Lachen lief in ein breites Grinsen aus und endete in einem Gurgeln. Ihre Hand erschlaffte, schlug versehentlich auf das dicke Paket, das sie schon wieder vergessen hatte. Dabei ertönte ein dumpfes Dröhnen. Sie fuhr zusammen und erlangte für einen Augenblick ihre Geistesgegenwart zurück. Sie nahm das Paket an sich. Aber dann musste sie die Tür wieder aufdrücken, und das gelang ihr erst nach mehreren erfolglosen Versuchen, die sie jedes Mal wieder auf die Rückbank zurückwarfen.
Endlich stand sie aufrecht da, die Arme um das sperrige Paket geschlungen.
Sie brauchte einige Zeit, um das Wenige an Verstand, das ihr noch blieb, zusammenzunehmen und zu begreifen, was sich da unter ihren Augen abspielte. Breitbeinig und schwankend stand sie da und blickte verständnislos mit blinzelnden Lidern auf das Schauspiel, das sich ihr bot.
Der Wind und die Geräusche der Berge ertönten immer noch im Chor. Die Schlucht war nicht mehr deutlich zu erkennen, aber die Schatten, die sie hervorhoben, und der klare Himmel, an dem sich die Bergkämme abzeichneten, bildeten den Rahmen für das Ensemble auf der Lichtung, auf das sich das Mondlicht konzentrierte.
Dort hinten stand mitten im hellsten Mondlicht, auf halbem Weg zwischen dem Kraftwerk und dem Chalet, am Ende der Erdaufschüttung, ein Fahrzeug, dessen Anblick Violaine erstarren ließ.
Sie ließ sich gegen den Kotflügel ihres Cabriolets fallen, ihr wertvolles Paket immer noch krampfhaft an sich gedrückt. Ein Lachkrampf schüttelte sie trotz der Furcht, die sich in ihrem Blick widerspiegelte. Bei aller Angst, die sie empfand, der Alkohol versetzte sie nun einmal in heitere Stimmung. Und das war ein abscheuliches Gefühl, der Kontrast zwischen dem, was ihr in der Wirklichkeit noch an Drohendem bevorstand, und dem einfältigen Optimismus, den sie dem Wodka zu verdanken hatte.
Das Fahrzeug, das sie so zum Lachen brachte, stand frech mitten auf dem Kies, nicht weit von der Wäscheleine. Eine völlig verschmutzte, uralte Maschine, auf ihrem Ständer aufgebockt, ein bisschen zur Seite geneigt. Bei einem früheren Sturz war das rote Rücklicht zersprungen, und das Schutzblech hatte sich verbogen. Alles war mit Öl verschmiert und glänzte im Mondlicht. Es war ein Moped.
Verständnislos starrte Violaine auf die Maschine. Sie gab sich Mühe, die Gedanken zu sammeln, die ihr beim Anblick dieses ungewöhnlichen Gegenstands in den Sinn kamen. Sie drehte sich um zum Chalet, wo die Fahne wehte, zum Chalet, das von oben bis unten taghell erleuchtet war, alle seine Fenster, alle seine Korridore, alle seine Balkone. Von hier aus gesehen wirkte es riesig und schien sie erdrücken zu wollen.
Da zeigte sich hinter einem der Fenster im zweiten Stock plötzlich ein Schatten und verdeckte für einen Augenblick das Licht. Er bewegte sich schwerfällig. Immer wieder blieb er unbeweglich stehen. Dann setzte er sich zögernd wieder in Bewegung. Er ging von einem Fenster zum nächsten, immer mit derselben unsteten Langsamkeit. Für einen Moment brachte seine Silhouette den vorspringenden Teil eines Balkons, der nur von innen her beleuchtet wurde, vollständig zum Erlöschen. Dann war er für längere Zeit verschwunden, um schließlich im ersten Stock aufzutauchen, hinter den Flügeltüren des Wohnzimmers, wo Violaine gerade noch geschlafen hatte.
»Er sucht danach …«, hauchte sie.
Ihr Blick fiel auf das unheimliche Moped, das sich auf seinem Ständer in die Höhe reckte, wie ein wildes Tier in einem Albtraum. Auch hinter der Maschine, bei der Wäscheleine, hatte sich irgendetwas verändert. Violaine hatte den Eindruck, die Wäsche wolle ihr ein Zeichen geben. Und plötzlich begriff sie: Auf den Leinen
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