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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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liebsten jedoch verkriecht sie sich in den Talmulden von Chavailles, vor allem beim ehemaligen Sägewerk der Maillards, wo so viel Menschenschweiß vergeblich vergossen wurde. Denn schließlich sind die Ruinen dort der einzige Lohn für so viel Mühe, und es gibt niemanden mehr außer dieser schmächtigen Frau, die wieder einmal ihre Wäsche auf der Leine vergessen hat, an der sich nun dank der Lombarde Schlüpfer und Büstenhalter zu Rundungen aufblähen, die sie nie umschlossen haben.
    Sehen Sie, der Mond ist jetzt über dem Tal aufgegangen. Er verschmilzt mit dem Wind. Dort im Hintergrund, neben der Chanolette, gibt es nur dieses einzige Lebenszeichen: das Chalet, in voller Beleuchtung, als ob dort ein Fest wäre. Aber dort ist kein Fest. Die arme Frau da oben ist vollständig bekleidet, von Wodka benebelt auf dem Sofa eingeschlafen. Jetzt, wo sie den Blicken schutzlos ausgeliefert ist, sieht man genau, dass sie auf die vierzig zugeht.
    Zu ihren Füßen liegt die halb volle Schnapsflasche. Der leere Silberbecher auf dem Teppich ist umgekippt. Das Bild des Mannes schließlich, Violaine hat es von der Konsole heruntergerissen und es sich auf den Bauch gedrückt, um ihre Rolle als untröstliche Witwe glaubhaft zu verkörpern. Das Bild beginnt aus ihren im Schlaf gelösten Händen zu gleiten. Das Radio stößt einen Blues nach dem anderen hervor, aber, so scheint es, schwächer und schwächer. Und plötzlich ist es still. Ein Gurgeln und Brutzeln wie von heißem Fett ist noch zu hören, dann nichts mehr.
    Die Nacht schreitet weiter fort. Über der bleichen Bléone und der kleinen Chanolette unterbrechen nur die leisen Geräusche der Erosion hin und wieder das eintönige Brausen des Windes, der im Einklang mit dem Getöse der Wildbäche dahinstreicht. Der Mond steht fast im Zenit, so hoch verläuft in dieser Jahreszeit seine Bahn am Himmel.
    Violaine schläft immer noch, dümmlich, mit halb geöffnetem Mund.
    Es war die Stille, die Violaine aufwachen ließ. Ein Nerv pochte dumpf hinter ihrer Stirn, und der Schmerz breitete sich bis zu den gemarterten Augenbrauenbögen aus. Eine Sirene jaul te in ihrem rechten Ohr, weit entfernt, aber durchdringend. Das war der einzige Nachteil des Wodkas. Sie war erstaunt. Normalerweise hatte sie einen ruhigen Schlaf. Sogar an diesen anstrengenden Gedenktagen hatte sie keine Mühe, trotz des reichlich genossenen Alkohols ihre acht Stunden ohne Unterbrechung durchzuschlafen, ohne zu träumen, ohne aufgeschreckt zu werden, und das sogar in voller Kleidung und mit Schuhen an den Füßen.
    »Ich habe vergessen, die Batterien des Radios auszuwechseln«, sagte sie laut.
    Daher die plötzliche Stille, das Radio hatte aufgehört zu spielen. Aber nein: es war mehr als das. Draußen blies der Wind, und der Strom toste, aber das änderte nichts an der greifbaren Stille, die einzige, die zählte, die unmittelbar Violaines benebelte Sinne alarmierte. Sie schnalzte zwei-oder dreimal mit der Zunge. Der Schlaf hatte nicht lange genug gedauert, um ihre Betrunkenheit zu verscheuchen. Und es war nicht leicht, gegen diese idiotische Euphorie anzudenken, die sie gegen ihren Willen alles in rosigem Licht sehen ließ.
    Plötzlich setzte sie sich auf und stieß einen überraschten Rülpser aus. Sie hob den Kopf zur Decke. In den Balken und Fußböden unterbrachen alle Holzwürmer auf einmal ihre Arbeit, als wären sie in der Lage, auf Gefahren zu achten, als hätte eine dumpfe Bedrohung sie alarmiert.
    Seit sie hier lebte, hatten die Holzwürmer ihr lärmendes Treiben noch nie länger als eine Minute unterbrochen. All die Ereignisse ihres Lebens, Leiden und Freuden, hatten sich immer vor dem tönenden Hintergrund dieser Nager abgespielt, die so geduldig damit beschäftigt waren, das Chalet in Sägemehl zu verwandeln.
    Sie schauderte und erhob sich plötzlich. Das Bild fiel mit der Vorderseite zur Erde, als wäre es verärgert. Sie hob es schnell wieder auf, hielt es in Augenhöhe und prüfte es eingehend, durch die Alkoholschwaden hindurch, die sie umfingen.
    »Das ist nicht möglich, nicht wahr, mein Schatz? Wenn hier jemand an Ihnen vorbeigekommen wäre, wüssten Sie es doch? Ihr Gesicht würde das irgendwie ausdrücken. Nicht wahr? Sie würden mich doch warnen?«
    Aber zum ersten Mal in ihrem Leben, seit sie sein Geheimnis zu ergründen suchte, schien es, als würde sich in dem gleichmütigen Gesicht ein spöttisches Lächeln andeuten. Dieser Eindruck sollte sie nicht wieder loslassen.
    Sie schleuderte das

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