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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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fange dabei immer mit den Todesanzeigen an. Ich wusste also, dass Gott, der Herr, Mademoiselle Champourcieux zu sich genommen hat, bevor ich erfahren habe, dass sie umgebracht wurde.«
    »Ja, genau. Durch den Stich eines verrosteten Bajonetts.«
    »Donnerwetter!«, murmelte Laviolette.
    »Jawohl. Mitten in der Nacht. Ohne dass eingebrochen worden wäre, alle Türen standen offen! Stellen Sie sich das einmal vor! Würden Sie vielleicht auf die Idee kommen, in einem weit abgelegenen Haus Ihre Haustür nicht zuzuschließen? Zumindest nachts?«
    »Nun ja, soweit ich sehe, haben Sie mein Haus ohne die geringste Schwierigkeit betreten«, erwiderte Laviolette.
    »Da haben Sie allerdings Recht. Im Vorbeigehen habe ich sogar die Flurtür gegen einen großen Stein schlagen sehen.«
    »Ganz richtig. Sie soll nicht zuschlagen. Verstehen Sie, es ist wegen der Katzen. Das übrige Haus gehört ihnen, und einen Schlüssel im Schloss umdrehen, das können sie eben noch nicht.«
    Chabrand lächelte spöttisch.
    »Sie sind ein würdiger Vertreter des Départements Basses-Alpes, genau wie die verstorbene Mademoiselle Cham pourcieux!«, sagte er. »Deshalb hat man ihr auch dreißig Zentimeter verrosteten Stahl in den Bauch gestoßen. Lassen Sie Ihre Türen ruhig weiterhin sperrangelweit offen stehen!«
    Laviolette antwortete nicht. Er schälte eine Marone und sah zwischen sich und dem glühenden Kamin langsam Véroniques Geist aufsteigen, der ihm vertraut war wie allen anderen auch.
    Alte Jungfer … Hat ihr Leben aufgeopfert für den seligen Augustin Champourcieux, genannt der Unbeugsame, Offizier der Ehrenlegion und Industrieller, seit etwa fünfunddreißig Jahren im Ruhestand. Er hinterließ eine sanfte Tochter. Sie wurde von jedem bemitleidet, aber von niemandem geliebt, zumindest nicht genug, um ihr Alleinsein zu teilen.
    Manchmal, wenn Laviolette ihr auf dem Markt begegnet war, hatte er die plötzliche Eingebung gehabt, sie anzusprechen, mit ihr zu reden und zu versuchen, mit ihr in Verbindung zu treten. Sie war reich, konnte also nur an Einsamkeit leiden. Nun besteht aber das Leben aus einzelnen, flüchtigen Augenblicken; jeder von ihnen existiert für sich allein, und alle sind klar voneinander abgegrenzt wie ein Satz Tarockkarten. Und um all das zusammenzufügen, um diese Augenblicke aufeinander abzustimmen, bedarf es eines eisernen Willens. Und wer da wankelmütig ist …
    Laviolette seufzte.
    Und jetzt? Nun war sie tot. Er konnte ihr nun nicht mehr dieses leicht aufmunternde Lächeln schenken, mit dem er sie bei jeder Begegnung bedacht hatte. Tot war sie, durch den Stich eines verrosteten Bajonettes. Er versuchte, sich diese Szene vorzustellen.
    »Und wir wissen weder durch wen noch aus welchem Grund«, jammerte Chabrand. »Es fehlt nichts! Es wurde nichts gestohlen: weder Scheckheft noch Sparbuch, weder Geld noch Wertpapiere oder der zwar altmodische, aber reichlich vorhandene Schmuck, den sie unvorsichtigerweise in ein altes Nähkästchen gestopft hatte. Und keiner der fünfzehn Goldbarren,« fügte er mit erhobenem Finger hinzu, »von denen sich jeweils einer in jeder zweiten Schublade des Empiresekretärs befindet.«
    »Wurde sie vergewaltigt?«, fragte Laviolette.
    »Unberührt! Virgo intacta! Nichts, sage ich Ihnen! Keine Spur von Gewalt …«
    »Außer dem verrosteten Bajonett.«
    »Wir haben es wiedergefunden. An der Spitze eines alten Chassepotgewehrs aus dem Jahr 1858, nicht abnehmbar und durch den Rost wie mit dem Lauf verschweißt. Es lag da auf dem Teppich, im selben Raum. Der Täter hatte es aus der Leiche des Opfers herausgezogen.«
    »Warum?«
    »Warum?«, wiederholte Chabrand verblüfft. »Woher bitte soll ich das wissen?«
    »Entschuldigen Sie, ich habe mich schlecht ausgedrückt. Ich meine, wenn ein Mörder die Waffe aus der Leiche des Opfers herauszieht, dann tut er es gewöhnlich, um sie mitzunehmen. Entweder braucht er sie noch, oder er befürchtet, sie könnte ihn verraten. Aber sie einfach herauszuziehen, um sie dann am Tatort zu hinterlassen, das ist doch nicht normal.«
    »Ich bitte Sie! Wenn Sie sich jetzt schon bei den nicht normalen Dingen aufhalten, werden Sie aus dem Staunen nicht mehr herauskommen bei all dem, was ich Ihnen zu berichten habe.«
    »Tun Sie doch nicht so! Das sagen Sie nur, um mich neugierig zu machen. Sie wissen ganz genau, dass ich ein Faible für alles habe, was nicht normal ist.«
    »Wenn es um normale Dinge ginge, hätte ich mir diesen Besuch erspart, da können Sie sicher

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