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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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und parallel zum Instrument aufgestellt war und so gar nicht zu diesem Ort passen wollte. Schnaufend ließ er sich schließlich darauf nieder.
    »Spielen Sie Klavier, Chabrand?«, fragte er plötzlich.
    »Gott bewahre!«, antwortete der Richter.
    Mit der ganzen Höhe seines mageren Körpers überragte er seinen kauernden Gefährten, dessen Kopf gerade einmal bis zu seinen Knien reichte.
    »Dann können Sie mir da nicht weiterhelfen«, seufzte Laviolette.
    »Womit?«, fragte Chabrand in hochmütigem Tonfall.
    »Na, dann kommen Sie mal hierher, Sie sind schließlich groß, und setzen Sie sich neben mich. Nein, nicht so, sondern andersherum, mit Blick auf die Tastatur!«
    »Was soll denn dieses Theater?«, maulte Chabrand.
    Dennoch zog er den Carrick aus und warf ihn auf das Sofa – was für ein scheußliches Farbgemisch, tannengrün und purpurrot –, brachte seinen knochigen Hintern auf dem Bänkchen in Position und saß nun neben Laviolette, nur anders herum.
    »Na, und jetzt?«, knurrte er. »Bringt Sie das vielleicht weiter?«
    »Moment mal! Angenommen, Sie könnten etwas mit diesem Instrument anfangen, würden Sie so anfangen zu spielen, wie Sie gerade sitzen?«
    »Natürlich nicht! Wie denn? Meine Knie sind mir im Weg, wenn ich auf die Tastatur sehen will! Und dazu müsste ich meine Hände über die Knie hinweg strecken. Aber worauf wollen Sie denn überhaupt hinaus?«
    »Ich weiß es nicht, ich suche noch.«
    Mühsam und widerwillig richtete er sich wieder auf. Chabrand machte es ihm nach.
    »Haben Sie schon einmal einen Pianisten gesehen, der im Stehen spielen kann?«
    »Jazzpianisten tun das schon, wenn ihnen danach ist: Ray Charles, John Mac Kinley, ja sogar der King selbst …«
    »Schön! Trauen Sie Mademoiselle Champourcieux zu, einen Blues zu verbrechen … oder meinetwegen einen Ragtime?«
    »Nein«, erwiderte Chabrand trocken.
    »Gut. Sie haben mir aber doch versichert, dass Sie das Opfer vor dem Klavier aufgefunden haben. Sie haben mir ebenfalls versichert, dass seitdem hier nichts angerührt wurde.«
    »Nein, absolut nichts.«
    »Und doch gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder das Opfer spielte im Stehen, oder es saß auf diesem Gestell.«
    »Gehen Sie zum Teufel mit Ihrem Blödsinn! Natürlich spielte sie im Sitzen, alles weist darauf hin, der Verlauf der Stichwunde in ihrem Körper und die Stelle, an der das Bajonett am Gehäuse des Klaviers auftraf.«
    »Dann … Ja, dann müssen die Beamten bei der Spurensicherung den Hocker wohl weggestellt haben.«
    »Nein! Ich habe den Lageplan, ich war gleich am Morgen mit dem Vertreter der Staatsanwaltschaft am Tatort. Und da war alles im jetzigen Zustand.«
    Laviolette starrte ihn lange mit seinen weit aufgerissenen ausdruckslosen Augen an. Dann zündete er sich eine Zigarette an und begann mit hinter dem Rücken verschränkten Händen schwerfällig im Zimmer hin und her zu gehen. Durch die beiden ersten hohen Fenster schaute er auf die dunkle Allee und die vom Wind zerzausten Platanen. Vor dem dritten Fenster waren dagegen die roten Ripsvorhänge zugezogen. Plötzlich hielt Laviolette inne und betrachtete sie schweigend. Die ganze Zeit hindurch hatte ihn Chabrand aufmerksam mit den Blicken verfolgt.
    »An den Vorhängen hat sich auch niemand zu schaffen gemacht, sind Sie da sicher?«
    »Niemand«, seufzte Chabrand, dem es langsam Leid tat, diesen Canossagang angetreten zu haben.
    Laviolette tastete unter den Troddeln der schweren Gardinen. Mit beiden Händen packte er die Kordel und zog heftig daran. Mit einem Geräusch von reißendem Stoff öffneten sich die Vorhänge.
    »Ich nehme an«, sagte er, »dass die Polizeibeamten genau das Gleiche getan und sie dann wieder zugezogen haben, denn sie haben nichts Besonderes dahinter gefunden. Bis auf dieses Möbelstück …«
    »Nein«, erwiderte Chabrand. »Keine Spur davon im Protokoll. Diese Gardinen wurden offensichtlich nicht aufgezogen, sonst hätte man sie so gelassen.«
    Er ging auf Laviolette zu, der mit dem Finger auf die Fensterleibung unter den Scheiben zeigte. Dort stand, genau in der Mitte, wie eine stumme Frage, ein Hocker im Biedermeierstil, dessen Sitzpolster mit demselben roten Samt ausgeschlagen war, wie die anderen Möbel auch.
    Laviolette nahm ihn an sich und stellte ihn auf den Lattenrost. »Er muss zweifellos hier gestanden haben«, murmelte er. »Allen Protokollen und Lageplänen zum Trotz. Vermutlich hat man vergessen, Sie darauf hinzuweisen.«
    »Nein und nochmals nein! Die Beamten

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