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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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sein. Oder glauben Sie im Ernst, dass es mir Spaß macht, wieder in Irènes Schlafzimmer zu stehen …«
    Er warf eine Schale ins Feuer und trank in einem Zug seinen Fingerhut voll Wein aus.
    »Und dann auch noch mit Ihnen!«, fügte er hinzu.
    »Na, kommen Sie! Sie mögen mich doch ein bisschen, oder?«, murrte Laviolette.
    »Mag sein, aber ich weiß wirklich nicht, warum!«
    »Aus einem einfachen Grund: Sie wünschen sich, mir eines Tages zu gleichen.«
    Chabrand stand auf und schickte sich an, den auf seinem Carrick thronenden Kater erbarmungslos hochzuheben.
    »Vorsicht!«, rief Laviolette aus. »Katzen haben einen empfindlichen Magen. Wenn Sie ihn zu fest anpacken, könnte er sich auf Ihren Mantel erbrechen!«
    Er nahm das Tier an sich, als hätte er es mit einer wertvollen Porzellanvase zu tun, und legte es, begleitet von nicht enden wollenden Kosenamen, auf den Sessel, aus dem er sich gerade erhoben hatte.
    »Kennen Sie die Lederwarenhandlung Champourcieux?«, fragte Chabrand.
    »Ich hatte noch nicht das Vergnügen«, knurrte Laviolette.
    »Schade, das ist nämlich etwas ganz nach Ihrem Geschmack, besonders um Mitternacht.«
    Als er endlich seinen Carrick um die Schultern drapiert hatte, erschien in seiner sich öffnenden Hand ein großer Schlüssel, den er gerade aus seiner Tasche hervorgeholt hatte. Er hielt ihn seinem Gastgeber unter die Nase, der begehrliche Blicke auf ihn warf, als handele es sich um eine Leckerei.
    »Warten Sie einen Augenblick!«, sagte da auf einmal Laviolette. Er verschwand im Dämmerlicht tief im Inneren der Rumpelkammer. Chabrand konnte ihn dort keuchen hören bei einer Tätigkeit, die offensichtlich große Anstrengung erforderte. Als er ans Licht zurückkehrte, war er vom Scheitel bis zur Sohle eingemummelt in einen dicken Überzieher; dazu kamen noch ein doppelter Schal und ein Filzhut, und außerdem war er dabei, sich ein paar Handschuhe anzuziehen.
    »Ich nehme an, wir gehen jetzt los?«, fragte er.
    »Warum nicht? Am Tatort werde ich kaum etwas erzählen müssen. Die Dinge sprechen für sich. Und Sie werden dann ja sehen, ob ich sie mir ausgedacht habe, diese nicht normalen Dinge.«
    In dieser windigen und hellen Nacht schien das Haus der Familie Champourcieux alle Anstrengungen unternommen zu haben, sich Laviolette von seiner schlechtesten Seite zu zeigen. Jetzt, da es vollkommen dunkel war, strahlte es eine offene Feindseligkeit aus. Seine Vorderfront hatte den stumpfen Gesichtsausdruck eines geizigen und misstrauischen Menschen. Als es plötzlich hinter den Platanen aufgetaucht war, hatte Laviolette seine Hand auf den Mund gelegt, wie bei einem schrecklichen Unglück. Er jubelte innerlich.
    »Du lieber Gott! Wie schade, dass ich schon Popocatepetl habe! Das hier ist noch weit schlimmer!«
    Die hölzernen Fensterläden quietschten in den Angeln, um dann mit vollem Schwung gegen die Fassade zu knallen. Ein loses Abflussrohr klapperte in den gebrochenen Halteringen. Von der schmiedeeisernen Gartenlaube ergossen sich Ströme von wildem Wein bis auf den Boden. Ganz oben, oberhalb der vier Stockwerke, unter der vierfachen Reihe von Hohlziegeln – in dieser Gegend ein Gütemerkmal unzerstörbarer Häuser – sogen riesige Dachböden mit nacktem Gebälk den Wind in sich ein. Sein raues Heulen wurde noch tiefer, nachdem er durch sie hindurchgegangen war.
    »In einem solchen Haus kann alles geschehen«, bemerkte Laviolette. »Es riecht geradezu nach einem Drama.«
    Vor der mit einem Oberlicht versehenen Tür war Chabrand eifrig damit beschäftigt, den großen alten Schlüssel in dem widerspenstigen Schloss zu drehen, das an solche Herausforderungen nicht mehr gewöhnt war.
    »Diese Tür stand, wohlgemerkt, immer weit offen, wenn man den Aussagen der Leute Glauben schenken darf, die hier aus und ein gingen«, sagte er.
    Es war ihm gelungen, den Riegel zu bewegen und den Türflügel aufzustoßen. In der weiten und dröhnenden Leere des Treppenhauses hallten die Schritte der beiden in den Flur eintretenden Männer wider. Chabrand hielt Laviolette mit ausgestrecktem Arm zurück.
    »Bevor wir weitergehen, halten Sie bitte fest, dass genau hier, zwischen diesem großen Tonkrug und dem Stück Säule, direkt auf den Fliesen …«
    »Fliesen, wie man sie heute selten zu sehen bekommt«, seufzte Laviolette, »so breit, so ausgebleicht und wie ein Parkett im Winkel gelegt …«
    »Mag sein! Aber dabei nicht sehr widerstandsfähig. Der hier liegende Revolver hatte ein Stück Fayence absplittern

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