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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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lassen. Na, gucken Sie mal! Der Splitter liegt immer noch da.«
    »Na so was, ein Revolver!«, brummte Laviolette angewidert. In seinen Augen verlor durch eine so banale Waffe alles seinen Reiz.
    »Warten Sie erst einmal ab, ehe Sie so die Nase rümpfen!«, knurrte Chabrand. Und er zog aus der breiten Tasche seines Carrick eine Tüte mit aufgeklebtem Etikett heraus, aus der er etwas in seine geöffnete Hand fallen ließ. »Das ist er!«, sagte er.
    »Ein Damenrevolver!«, rief Laviolette aus. »Das ist natürlich schon viel poetischer! Wussten Sie übrigens, dass Madame Caillaux, die Frau des Finanzministers, den armen Calmette vom Figaro mit einem solchen Spielzeug umgebracht hat?«
    »Das mag ja meinetwegen ungemein poetisch sein! Vor allem jedoch von äußerst geringer Wirksamkeit. Sechs Kugeln passen in die Trommel, eine von ihnen steckte im Lauf, der Schlagbolzen hatte funktioniert. Alles spricht dafür, dass die Waffe Ladehemmung hatte, als das Opfer sie benutzte. Da blieb ihr nichts anderes übrig, als mit ihr nach dem Angreifer zu werfen.«
    »Wurde sie hier ermordet?«
    »Nein. Da oben im Salon, dessen Tür übrigens auch offen stand. Kommen Sie, gehen wir hinauf.«
    Der Richter hatte das Lämpchen im Treppenhaus angemacht, und beide Männer stiegen im Dämmerlicht langsam die Stufen hinauf. Im ersten Stock war alles dunkel und leer. Chabrand ging vorsichtig weiter den Flur entlang und drehte den Lichtschalter. Plötzlich wurden Laviolettes Augen von dem leuchtenden Rot des theatralisch ausgestatteten Salons geblendet.
    »Du meine Güte!«, rief er aus. »Falsches Biedermeier, das ganze Mobiliar!«
    Er betrachtete die Wände ringsum.
    »Und da hängen drei Meissoniers! « , erklärte er weiter. »Die dürften damals verdammt teuer gewesen sein, auch wenn sie heute nichts mehr wert sind.«
    »Alles ist noch an seinem Platz, bis auf das Gewehr mit dem Bajonett natürlich. Das wurde sichergestellt. Wenn Sie es sehen wollen …«
    Laviolette gab keine Antwort. Er stand vor dem Klavier, dessen Deckel immer noch offen stand, und starrte gebannt auf die Spuren des Verbrechens: Genau in der Mitte des goldenen Medaillons, in das der Name des Klavierbauers Laharpe eingraviert war, sah man ein Loch, ein ausgefranstes Loch, von winzigen Splittern aus Palisander oder Mahagoni umgeben. Um in einem so harten Holz ein derartiges Loch zu hinterlassen, nachdem es bereits einen menschlichen Körper durchbohrt hatte, musste das Bajonett mit außergewöhnlicher Wut geführt worden sein. Eine Spur von schwarz gewordenem Blut lief quer über die Tastatur; die Tasten klebten aneinander, als wolle man sie daran hindern, die Brahms-Sonate erklingen zu lassen.
    »Da vorn ist sie zusammengesunken«, sagte Chabrand.
    »Erst am nächsten Morgen um acht wurde sie von der Putzfrau tot aufgefunden. Sie saß mit dem Rücken zum Klavier und muss wohl den Revolver nach dem Kopf des Angreifers geworfen und ihn verfehlt haben. Die Waffe ist durch den Korridor und über das Treppengeländer geflogen, um schließlich dort am Boden zu zerschellen, wo wir sie gefunden haben.«
    »Ja, so muss es wohl passiert sein …«, murmelte Laviolette.
    Er war gerade dabei, in Gedanken die Grabrede auf dieses arme Mädchen zu halten. Als einziger Trost war ihr die menschenleere Erinnerung an das riesige Haus und die griesgrämige Gesellschaft dieses steifen, vornehm wirkenden Klaviers geblieben, das wie in ein Stützkorsett eingeschnürt schien, so wohlanständig sah es aus.
    Laviolette stand da, völlig regungslos, allein, hörte auf das Rauschen der Platanen im Wind und das Klappern der Fensterläden. Chabrand hatte er vergessen. Er war Mademoiselle Véronique Champourcieux, fünf Minuten vor ihrem Tod.
    »Eines steht fest«, murmelte er. »Da sie bewaffnet war, hatte sie wohl einen Angreifer erwartet.« Er erkannte seine eigene linkische Silhouette im Spiegel des Klaviers ebenso wie den trüben Ausblick in den Salon unter dem Kronleuchter. »Ich hab’s!«, sagte er. »In diesem Behelfsspiegel muss sie verfolgt haben, wie der Mörder ihr immer näher kam.« Ohne sich von der Stelle zu rühren, sprach er den Richter an.
    »Sagen Sie mal Chabrand … Sie behaupten, niemand habe etwas angerührt, oder?«
    »Nein, alles ist so geblieben, wie es war.«
    Laviolette beugte sich gerade zum Teppich mit dem Eid der Horaces hinunter. Er sah sich eine Art von Lattenrost von nahem an, ein Gestell, das zwanzig Zentimeter hoch, vierzig Zentimeter breit und einen Meter lang

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