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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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deren langsamer Atem einen so vollkommenen Eindruck von der Ewigkeit vermittelte, sorgte für sein göttliches Wohlbefinden und für eine tiefe Zufriedenheit bei dem Gedanken, dazuzugehören, unbemerkt darin zu verschmelzen und sich allmählich in dieser Seelenlandschaft aufzulösen.
    Seinen Lokalpatriotismus trieb er so weit, dass er, obwohl er es keineswegs nötig hatte, jedes Jahr eine Kur in dem so poetisch eingerichteten Thermalbad machte. Danach verkündete er jedermann, wie ungeheuer gut ihm das getan habe.
    Unter seiner Herrschaft war der undurchdringliche Park von Popocatepetl das Heim all jener ausgehungerten Katzen geworden, denen die Mülltonnen von Digne nicht mehr zum Leben reichten. Die alte Chabassut, die für ihn kochte und putzte, pflegte sie, mästete sie, brachte die neugeborenen Kätzchen mit Äther um, ließ die Kater kastrieren und die Weibchen sterilisieren, soweit sie sie erwischen konnte. Immerhin gab es in klaren Vollmondnächten in Popocatepetl die schönsten Katerkonzerte, die man sich vorstellen konnte. Er hörte sie gern an. Er mochte Katzen. Einige von den dicksten kamen immer auf die Idee, ihm auf dem Bauch herumzutrampeln, und das am liebsten, wenn er gerade gegessen hatte.
    Kurz und gut: Wenn es so etwas wie Glück geben sollte, dann war der Pensionär Laviolette ein glücklicher Mann.
    Nun geschah es aber an einem gewissen Abend – es dürfte so um den zehnten Oktober herum gewesen sein –, dass er hörte, wie sich ein Auto mit knirschenden Reifen vom unvergitterten Garteneingang her näherte und wie bald darauf eine Wagentür ohne Schwung zugeschlagen wurde.
    Natürlich war nicht die Wagentür ohne Schwung, sondern eher derjenige, der sie zugeschlagen hatte. Denn es gibt Hunderte von Arten und Weisen, eine Wagentür zuzuschlagen, und Laviolette, der in diesem Bereich so viel Erfahrung hatte, bildete sich viel darauf ein, jeder von ihnen eine besondere Bedeutung zuordnen zu können.
    »Wer seine Wagentür so zuschlägt, muss ganz schön an etwas zu kauen haben«, dachte er.
    Er wartete ab. Der Schritt eines Sterblichen bahnte sich seinen Weg durch die zerstreuten Blätter. Langsam und als täte er es ungern, stieg der Besucher die sechs breiten Stufen hinauf, die zu den vier Fenstern seiner »Höhle« führten, wie Laviolette sich auszudrücken pflegte. Groß und schmal, etwas altmodisch und allem Anschein nach nachdenklich zeichnete sich eine von den Querhölzern der Fensterscheiben gleichsam zerstückelte Silhouette hinter der Fenstertür ab. Sie stand da, ohne sich zu rühren, mit der Haltung eines Menschen, der in innerer Sammlung vor einem Grab steht. Der Unbekannte entschied sich schließlich, einen Schritt vorzutreten, und klopfte leise gegen die Scheibe.
    »Kommen Sie doch herein«, rief Laviolette vom Kamin her, wo er gerade die ersten Maronen des Jahres in der Pfanne röstete.
    Als er sich umdrehte, sah er einen langen, dürren, gelblichen Mann auf sich zukommen, dessen Augen hinter einer dicken Brille verborgen waren. Er sah etwas gönnerhaft aus, aber gleichzeitig stand ihm ein Hang zur Unbestechlichkeit ins Gesicht geschrieben, der unweigerlich ein gewisses Maß an Melancholie mit sich bringt.
    Laviolette erkannte gleich den Richter Chabrand.
    »Er hat sich gar nicht verändert«, dachte er.
    Umso weniger, als Chabrand sich diesen tannengrünen englischen Carrick umgeworfen hatte, der schon in so viele Abenteuer verwickelt gewesen war. Er hatte nun jenes ehrwürdige Alter erreicht, in dem die Kleidung schon ihren eigenen Charakter entwickelt, und er zeigte Spuren jenes edlen Verschleißes, der ein Kleidungsstück auf der Höhe seines Lebens auszeichnet, dem noch viele Jahre engen Zusammenlebens mit seinem Besitzer beschieden sind.
    »Welchem glücklichen Umstand verdanke ich Ihren Besuch?«, rief Laviolette dem Richter erfreut von weitem zu.
    Sie hatten sich seit Jahren nicht mehr gesehen. Laviolette hatte wohl erfahren, dass es Chabrand allen Widerständen zum Trotz und nicht ohne etliche Hindernisse schließlich gelungen war, dank guter Zeugnisse und Hartnäckigkeit wieder nach Digne zurückgerufen zu werden. Er hatte aber nicht versucht, ihn wieder zu sehen, und war ihm sogar aus Diskretion ausgewichen, da er nicht wusste, ob dem Richter eine Begegnung, mochte sie auch zufällig sein, angenehm sein würde.
    »Ich trete hier einen Canossagang an«, sagte Chabrand mürrisch.
    »Oh!«, rief Laviolette aus und röstete dabei seine Maronen weiter. »Ich weiß zwar

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