Der Mörder mit der schönen Handschrift
das Leben schwer. Er wird Sammler. Er fängt an, ein Werk über das Leben Napoleons in zwölf Bänden zu lesen, das er auf dem Speicher der Villa entdeckt hat.«
»Und was sammelte er?«, unterbrach Laviolette.
»Postkalender! Für einen Postboten waren das die billigsten Sammelobjekte! Und dann, dann entdeckt er seine Leidenschaft für Bonaparte, vor allem für den des ersten Exils auf der Insel Elba. Er folgt seinen Spuren, zu Fuß, ›um sich ein bisschen Bewegung zu verschaffen‹, wie es so schön heißt. Er treibt sich hier in der Gegend auf allen angeblichen Napo leon-Straßen herum. Er glaubt sogar, eine neue entdeckt zu haben; sie führt über den Corobin. So scheint es mir wenigstens. Bei einem Trödler aus Manosque macht er eine mottenzerfressene Uniform der Grande Armée ausfindig, mit Gamaschen, einem Pelzhut und einer Schürze aus Schweinsleder. Die reißt er sich unter den Nagel, pardon, ich meine natürlich, er erwirbt sie käuflich. Und als er dann endlich in den Ruhestand eintritt (bei einem Postboten dauert das nicht lange), geht er jeden Sonntag als Vagant verkleidet zur Kirche, um vor dem Portal zu schnorren. So bringt er Schande über seine Familie und rächt sich dafür, dass er stets von der Kasse fern gehalten worden war.«
Pardigon verstummte. Er glaubte, seinen Zuhörer mit Wörtern wie Vagant und schnorren schwer beeindruckt und in höchste Bewunderung versetzt zu haben.
Laviolette störte sich nicht an der Stille und nutzte sie, um sich eine neue Zigarette zu drehen. Das triste Dasein dieser beiden zerstrittenen Wesen erfüllte sein Innerstes mit Traurigkeit. Die Bäume des Altersheims rauschten und zitterten mit all ihren gelben Blättern, die nur noch an einem Faden hingen, und Laviolette tröstete sich so gut es ging an ihrem Anblick.
»Er bettelte also an den Kirchentüren als Vagabund verkleidet«, übersetzte er seufzend.
Pardigon musterte ihn von oben bis unten, voller Anerkennung, aber nicht ohne Misstrauen.
»Kurzum!«, stieß er wütend aus. »Aber etwas habe ich Ihnen noch nicht gesagt. Schon lange vor seinem Ruhestand liegt sein Bruder in Barles auf einmal im Sterben. Der zieht Bilanz, ruft seinen Sohn zu sich: ›Der Onkel ist reicher als ich‹, sagte er ihm. ›Merk dir das gut. Mit den reicheren Onkeln muss man sich immer gut stellen. Eine Verpflichtung einzugehen kostet manchmal nichts und kann dazu noch nützlich sein. Wer weiß schon, von wem sie schließlich eingelöst wird? Bei diesem erbärmlichen Stück Land? Bei diesen Lämmern, die immer weniger eingebracht haben? Also, hör zu: du wirst ihn aufsuchen, deinen Onkel. Du wirst ihm sagen, dass ich Unrecht hatte, dass ich bereut habe, dass ich es sehr bedauert habe, dass er nicht hier war, an meinem Sterbebett. Nun, du wirst das schon irgendwie hinkriegen. Dort hinten im Heuschober findest du bestimmt genügend alten Plunder, mit dem du einen Karren füllen kannst. Dein Onkel ist ganz wild darauf, auf alten Plunder.‹
Das tat der Sohn dann auch: ›Mein Onkel, ich komme, um Ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen!‹ ›Mein Gott, Kind! Das verlange ich doch gar nicht!‹ ›Doch, doch! Mein Vater hat Ihnen Unrecht getan. Er hat es bereut. Ich habe ihm an seinem Sterbebett versprochen, alles wieder gutzumachen!‹ ›Wenn es so ist‹, mischt sich da die Scholastique ein, ›ein Sterbebett ist natürlich heilig!‹
Sie und ihre beiden schon ziemlich großen Töchter, sie renken sich den Hals aus, um über den Neffen hinweg einen Blick in diesen berühmten Karren zu werfen, in dem sich Dinge häufen, die ihre Einbildungskraft auf eine harte Probe stellen.
Als der Neffe weg ist, nachdem sie zuvor mit Nusswein auf die Versöhnung angestoßen haben, da stürzen sich alle drei auf die Ladung, die er direkt vor der Eingangstreppe ausgekippt hat. Da wird gewühlt, ausgesucht, haargenau geprüft.
›Pah! Da hast du dich ganz schön bescheißen lassen! Was da rumliegt, ist keinen Pfifferling wert! Die Versöhnung mit dem Andenken deines verstorbenen Bruders war grad für die Katz!‹ ›Familienandenken! Mehr wollte ich doch gar nicht!‹ Gaétan versuchte das Gesicht zu wahren …
Die beiden Mädchen zogen aus dem Krempel ein Bild hervor, das sie voller Bewunderung betrachteten: ›Schau mal, was das für ein schöner Mann war! Papa, wer ist dieser Mann auf dem bunten Bild?‹ ›Was weiß ich? Irgendein Großvater! Irgendein Onkel! Was geht euch das an? Ihr seid doch der Meinung, dass das alles nichts wert
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