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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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vergessen!«
    Das störte ihn. Der Gedanke, dass er am Ende doch nicht allwissend, dass er doch nicht unfehlbar sein könnte, dass auf den Glanz, den er verbreitete, gelegentlich ein Schatten fiel, stimmte ihn mürrisch.
    »Das ist nicht so wichtig«, munterte Laviolette ihn auf, »eine kleine Nebensache.«
    »Sie haben Recht. Das ist nicht so wichtig!«
    Es war wirklich nicht so wichtig. Später jedoch, sehr viel später, musste Laviolette sich voller Ärger eingestehen, dass an diesem Morgen, an diesem schönen, milden Herbstmorgen, die Wahrheit versucht hatte, sich durch einige belanglose Worte Gehör zu verschaffen, und dass er ihr nur mit einem Ohr zugehört hatte.
    Unterdessen stellte Pardigon fest, dass seine Pfeife endgültig verstopft war. Sie zischte und gurgelte wie ein verstopfter Ausguss. Er leerte sie vollständig, füllte sie bedächtig aufs Neue, zündete sie wieder an, zog zweimal daran und spuckte in hohem Bogen aus. Dann fuhr er fort: »Längere Zeit danach, eines schönen Tages … Da seh ich doch den Melliflore angerannt kommen, unangemeldet, als ich gerade mit einem Patienten beschäftigt war. Das Jahrhundert kann damals nicht mehr taufrisch gewesen sein. Beide Töchter waren schon verheiratet, die eine mit dem Lederwarenhändler Champourcieux, die andere mit dem Mandelhändler Raffin. Und glauben Sie ja nicht, dass das ein Grund für sie gewesen wäre, ihre Hüte aufzugeben. Sie waren in die Haut ihrer verstorbenen Mutter geschlüpft! An der Kasse hatte der Melliflore weiterhin nichts verloren. Alle beide hatten sogar schon zwei hübsche Töchter (da sehen Sie wieder einmal, was erbliche Veranlagung bedeutet). Melliflore kam aus der Wut gar nicht mehr heraus; immer nur Mädchen und nie ein Junge.
    Aber damals, als er an diesem Nachmittag anrückte, war er bester Laune! Sie erinnern sich doch, wie ich ihn Ihnen geschildert habe, griesgrämig, knauserig und hartherzig? Das ist nur die halbe Wahrheit. Mit seinem etwas knubbeligen Gesicht wirkte er eher wie ein großherziger Lebemann. Nur in unseren Tälern ist die Natur zu solchen Täuschungen aufgelegt. Er strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Etwas Spucke rann aus den Winkeln seines schmallippigen Mundes unter den Enden seines Schnurrbarts hervor, den er immer noch in Form eines Fahrradlenkers trug.
    Schon im Wartezimmer macht er mir einen so heiteren Eindruck, dass ich ihn frage: ›Was machst denn du hier? Krank siehst du nicht gerade aus?‹ ›Das bin ich auch nicht‹, sagt er mir. ›Ich bin nur hergekommen, weil ich wissen will, wie lange ich noch zu leben habe!‹ ›Willst du mich hochnehmen oder hältst du mich am Ende für Gottvater persönlich?‹ ›Halt!‹, sagt er da, ›ich weiß doch, dass Sie schon aus Berufsstolz sicher sind, mir das fast auf das Jahr genau vorhersagen zu können!‹ ›Wieso willst du es überhaupt wissen?‹ ›Ja,‹ sagt er da mit geheimnisvoller Miene, ›mir ist der große Wurf gelungen.‹ Das sagt man bei uns so, wenn man das Unvorstellbare gefunden hat, einen Schlossherrn als Schwiegersohn oder einen goldenen Topf für den Erben. ›So so!‹, sage ich so beiläufig wie irgend möglich, ›du hast also einen Schatz ausgegraben?‹
    Da bleibt ihm die Spucke weg, und die Kinnlade fällt ihm herunter. Er sieht mich an, als wäre ich Nostradamus. ›So ist es!‹, flüsterte er schließlich. ›Wie haben Sie das erraten?‹ ›Mann, das ist doch eine feststehende Redensart‹, sag ich ihm, ›du bist vielleicht naiv!‹ ›Kann sein‹, erwidert er mir. ›Bloß eines steht fest: Die haben gedacht, sie könnten mich übers Ohr hauen, aber jetzt ist es genau umgekehrt!‹ Er brach in schallendes Gelächter aus. ›Wenn ich daran denke, dass mir mein Bruder den ganzen Karren voller Plunder geschenkt hat, ohne sich das Zeug genauer anzuschauen! Es ist unglaublich, was für Dummheiten man machen kann, wenn man keine Ahnung hat!‹ ›Nun mal langsam‹, sage ich ein bisschen herablassend, ›was kannst du denn schon groß gefunden haben?‹ ›Ich habe …‹ Er hielt inne. ›Denken Sie, ich bin so blöd und sag es Ihnen?‹ ›Warum nicht? Ich bin Arzt. Ich bin an die Schweigepflicht gebunden!‹ ›Mehr oder weniger‹, sagt er. ›An dem Tag, als Jansselin in der Villa der Verbotenen Träume sich dieses Sie-wissen-schon-was geholt hat, da hat es keine vierundzwanzig Stunden gedauert, bis seine Frau Bescheid wusste!‹ ›Entschuldige mal! Das kann man doch nicht vergleichen! Da ging es um

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