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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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getrübt in Erscheinung treten, in immer neuen Anordnungen, die darüber hinaus noch durch die Beweglichkeit des Gesichtsausdrucks verändert werden. Um eine solche Veränderung hervorzurufen, genügt schon ein Lichtstrahl, der das, was man eben noch zu sehen glaubte, verwischt. Nie wieder – auch nicht, als er das Rätsel dieser Angelegenheit gelöst hatte – sollte Laviolette das Modell wiederfinden, das ihm das ovale Porträt gezeigt hatte.
    Um sich nach so viel Regen und Trübsinn zu trösten, stattete er Félicie Battarel einen Besuch in ihrem Refugium ab. Trotz ihres enormen Umfangs war diese Postangestellte nicht ohne Reiz. Ihr Gesicht wurde von strahlend blauen Augen erhellt, was ihr das Aussehen eines romantischen Schulmädchens verlieh, das vom Leben noch nicht geprägt worden war.
    Um sie in aller Ruhe betrachten zu können, verlangte er eine Reihe von ganz unterschiedlichen Briefmarken, die sie lange zusammensuchen musste. Während sie sich an die Arbeit machte, erfreute er sich an ihrem Anblick. Wie alle Fülligen war sie voller Grübchen und rosa Flecken. Es schien ihm sogar, als ob ihre Hände zitterten, als sie das Briefmarkensortiment durchsah. Ihr Gesicht schien ihm stärker gerötet als bei ihrem ersten Zusammentreffen. Er sah ihr eine ungewöhnliche Erregung an, die er besänftigen wollte.
    »Keine Sorge«, sagte er freundlich. »Ich bin nicht von der Polizei.«
    »Dann kommen Sie also nicht, um mich zu verhören?«
    »Nein. Ich komme, um Sie zu bewundern. Das wissen Sie doch …«
    »Ach, wissen Sie … Ich bin nicht gerade bewundernswert. Ich verberge etwas.«
    »Das muss aber etwas ganz Besonderes sein!«, flüsterte er ihr lächelnd zu.
    »Er war es!«, sagte sie. Es klang wie ein Geständnis.
    »Wer?«
    »Pencenat. Er ist der Mörder. Niemand glaubt es, aber ich weiß es. Er war es. Er hat die Briefe aufgegeben. Er hat bei mir Briefmarken gekauft. Ich habe mir die Briefe, sofort nachdem er gegangen war, genau angesehen. Er war es!«
    Sie ließ sich auf ihren Stuhl fallen und verschränkte die Arme über der Brust, im vergeblichen Bemühen, ihre gewaltigen Brüste zurückzudrängen.
    »Puh! Jetzt ist es raus. Zum Teufel mit dem Berufsgeheimnis! Es hat mich beinahe erdrückt. Ich musste einfach mein Gewissen erleichtern. Am besten bei Ihnen; Sie sehen so anständig aus.«
    Laviolette wollte ihr gerade versichern, dass er noch mehr für sie tun könne, als er sie wie eine Dahlie aufblühen sah. Sie blickte auf etwas hinter ihm. Ein fröhliches Lächeln voller Temperament und Leichtigkeit erhellte die Züge der Postangestellten. Ein Lächeln, das enthüllender war als jedes Geständnis. Laviolette drehte sich um. Es war der Grand Magne, der Postbusfahrer, der mit einem schmetternden »Guten Tag« den Raum betrat. Der Fahrer war schlank, drahtig, hatte feurige Augen, und ein herausfordernder Schnurrbart zierte seine Oberlippe. Er hatte etwas von diesem spöttischen Draufgängertum an sich, das Frauen zum Lachen bringt und sie glauben lässt, man könne sich mit so einem ruhig einlassen, ohne sich gleich zu binden. Obendrein schien auch er üppigen weiblichen Rundungen nicht abgeneigt zu sein. Und er war gerade mal dreißig. Laviolette überließ ihm schweren Herzens das Feld.
    Er wollte seine Enttäuschung beim charcutier d’amour loswerden, bei dem Metzger, den ihm die Grimaude wärmstens empfohlen hatte. Er gab vor, ihn von früher her zu kennen. Der Metzger war ein weichliches, fettes Wesen mit einem Kopf wie ein Brotlaib, doch in seinen traurigen Augen lag die Erinnerung an ein verlorenes Land.
    Bei einem mit Mett und Wacholderbeeren gefüllten Presskopf und einem durchaus trinkbaren Rotwein unterhielten sie sich über Blutwurst und Steaks, mit zärtlichen Worten, während draußen das welke Laub früherer Jahre einen Reigen aufführte.
    Doch die Melancholie Laviolettes wich auch nach diesem rustikalen Gastmahl nicht. Die Erinnerung an die füllige Postangestellte, die er ebenso schnell verloren wie gefunden hatte, hinderte ihn daran, die einfachen Dinge des Lebens zu genießen. Es war wohl angemessener, sich herberen Gegenständen zuzuwenden, das würde besser zu der Verstimmung passen, die über ihn gekommen war.
    Er erkundigte sich nach dem Bauernhof, in dem die Wiege der Melliflores gestanden hatte. Er lag hoch oben in den Hügeln, doch ein Spaziergang würde ihm gut tun. Es hatte aufgehört zu regnen, und der Himmel hatte sich aufgeklärt.
    »Gibt es da oben noch irgendwelche

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