Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
ganz nah dran. Oder was glaubst du, wie viele englische Bluterinnen es in einem einzigen Departement gibt?»
«Selbst wenn wir die Frau finden, die Rickie Bright entführt hat, haben wir damit noch lange nicht ihn selbst.»
«Mensch, Enzo, sei nicht immer so ein Pessimist! Er ist nur einen Steinwurf entfernt. Das sagt mir mein Gefühl.» Er schloss die Tür auf und öffnete sie weit, um Enzo den Vortritt zu lassen. Es war dunkel in der Wohnung, doch die Türen zum Wohnzimmer und zu Raffins Arbeitszimmer dahinter standen offen, und so drang das Licht des angestrahlten Gebäudes gegenüber durchs Fenster bis zu ihnen. Es zeichnete vor ihren Füßen ein langgestrecktes Rechteck auf den Boden, in dessen Mitte ein gefaltetes weißes Blatt Papier lag, das offenbar jemand unter der Tür hindurchgeschoben hatte.
Als Enzo sich danach bückte, hörte er das Fensterglas zerbersten und im selben Moment ein Geräusch, als bekäme jemand einen Faustschlag ab, dann Raffins Stöhnen. Erschrocken blickte Enzo auf und sah, wie Raffin in den Flur zurücktaumelte und gegen die Tür des winzigen Fahrstuhls prallte, bevor er nach vorne kippte und mit dem Gesicht voran auf die Schwelle zu seiner Wohnung stürzte. Enzo stand benommen auf und begriff immer noch nicht ganz, was vor sich ging. Dann barst der Türrahmen fünf Zentimeter rechts von seinem Kopf. Ein großer Holzsplitter drang ihm in die Wange. Und plötzlich dämmerte ihm, dass auf sie beide geschossen wurde.
Wie ein Stein ließ er sich neben Raffin zu Boden fallen, erst dann sah er vorsichtig auf. Durch das zerbrochene Fenster blies der Wind herein. Jemand stand auf dem Gerüst am Gebäude auf der anderen Straßenseite. Eine Gestalt, die sich hinter der flatternden grünen Plane verbarg.
Enzos Hände waren klebrig nass, und der Eisengeruch von Blut stieg ihm in die Nase. Einen panischen Moment lang glaubte er, ihn hätte ein Schuss erwischt, bis ihm klar wurde, dass es Raffins Blut sein musste. Seine Gedanken gingen wirr durcheinander, doch dann riss er sich zusammen, rollte sich auf die Seite und drehte den Journalisten auf den Rücken. Raffins beiger Pullover war scharlachrot wie sein Schal. Aus Brust und Kehle drang ein gurgelndes Geräusch. In seiner Todesangst hatte Raffin die Augen aufgerissen wie ein Kaninchen im Scheinwerferlicht eines Autos. Er machte den Mund auf, brachte aber kein Wort heraus.
Im Treppenhaus ging das Licht aus – die sechzig Sekunden der Zeitschaltung waren vorbei. Hatten sie tatsächlich erst vor einer Minute den Schalter am Fuß der Treppe gedrückt? Enzo rappelte sich auf die Knie hoch und krabbelte in den Flur. Dann packte er Raffin an den Beinen und zog ihn vollständig aus der Wohnung, stand auf und lehnte ihn außerhalb der Schusslinie sitzend an die Wand. Raffin hustete und bespuckte sich von oben bis unten mit Blut. Aus seinen Augen schien das Leben zu weichen.
«Halt durch, verdammt!» Enzo griff nach oben, knipste mit blutverschmierten, tastenden Fingern das Licht wieder an und wählte auf seinem Handy den Notruf. Als sich die Zentrale meldete, musste er seine ganze Willenskraft zusammennehmen, um Ruhe zu bewahren. Er gab der Frau die Adresse durch und hörte, wie seine Stimme schriller wurde, als er sagte: «Hier wurde ein Mann angeschossen. Lebensbedrohlich. Wir brauchen sofort einen Krankenwagen!»
Als er sich wieder zu Raffin umdrehte, hatte dieser die Augen geschlossen. Irgendwo in einer Wohnung über ihnen waren immer noch die Tonleitern des Klavierspielers zu hören.
Kapitel einundvierzig
Enzo hatte keine Ahnung, wie viel Zeit verstrichen war. Er stand immer noch unter Schock. Raffins rostbraun getrocknetes Blut war an seinen Händen und Kleidern. Er saß vornübergebeugt, die Arme auf die Knie gestützt, mit hängendem Kopf auf einem Esszimmerstuhl und starrte blind auf das Muster im Boden.
Ihm brannten die Augen, sein Kopf hämmerte. Die Scheinwerfer, die der Polizeifotograf in der Wohnung aufgestellt hatte, blendeten. Es wimmelte von Kriminaltechnikern, die überall mit Pinsel und Fingerabdruckpulver hantierten und Beweismittel sicherten, von den Projektilen bis zu Haaren und Blut. Er hörte, wie jemand die Theorie vorbrachte, es könnte vielleicht jemand vor der Schießerei in die Wohnung eingebrochen sein.
Draußen hatte man die Straße abgesperrt, und weitere Beamte schwärmten auf dem Gerüst gegenüber aus, in der Hoffnung, dort auf irgendwelche Spuren des Schützen zu stoßen.
Nachdem Raffin ins Krankenhaus
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