Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
auch der AB einschaltete, ohne dass ihm das bewusst war. Auf diese Weise wurde das ganze Gespräch aufgezeichnet.» Er seufzte. «Leider war es nur ein sehr kurzer Wortwechsel. Es fielen keine Namen. Bei dem Anrufer handelte es sich um einen Mann, der sich mit Lambert für drei Uhr am nächsten Nachmittag verabredete. Dem Tag, an dem er ermordet wurde. Und zwar ziemlich genau um die Uhrzeit, die der Pathologe für den mutmaßlichen Todeseintritt angab.»
«Mit anderen Worten: Dieser Anrufer war der Mörder», schloss Bertrand.
«Davon ging auch die Polizei aus, nur dass dieser Mitschnitt sie leider nicht weiterbrachte. Das Telefonat lieferte nicht den geringsten Hinweis auf die Identität des Anrufers. Das ganze Gespräch dauerte gerade mal vierzig Sekunden. Sehr frustrierend. Sie konnten sich die Stimme des Mörders anhören, hatten aber keine Ahnung, wer er war.»
«Oder wozu sie sich treffen wollten?» Enzo hatte den Wortlaut der Unterhaltung vor einigen Monaten gelesen, konnte sich aber nicht mehr daran erinnern, worum es ging.
«Nein. Der Anrufer sagte nur zu Lambert, dass sie reden müssten.»
Enzos Gehirn lief nun auf Hochtouren. «Hilf mir auf die Sprünge. Es wurden keine Fingerabdrücke gesichert, oder?»
«Nein. Jedenfalls keine, die irgendwie von Nutzen gewesen wären. Natürlich gab es welche von Lambert. Von seiner Putzfrau. Einige Teilabdrücke, die noch von den vorherigen Mietern stammten. Und ein paar weitere unbekannten Ursprungs, zu denen sich aber keine Übereinstimmungen in der Datenbank der Polizei fanden. Schließlich ging man ziemlich sicher davon aus, dass der Mörder Handschuhe getragen hatte – weder Abdrücke auf dem Pillenfläschchen noch an dem zerbrochenen Glas in der Spüle. Auch an den Kaffeetassen, den Untertassen und der Zuckerdose stellten sie nur Lamberts Abdrücke sicher. Außerdem schrieb der Pathologe in seinem Bericht, die Form der Blutergüsse an Lamberts Hals ließe darauf schließen, dass der Angreifer Handschuhe getragen habe.»
«Schon seltsam», sagte Enzo, «wenn man sich vorstellt, wie jemand in der Wohnung seines Gastgebers Kaffee trinkt und dabei die Handschuhe anlässt. Dann dieses Pillenfläschchen, falls es ihm gehörte, ohne Etikett, ohne Fingerabdrücke.»
«Er war sehr vorsichtig», bemerkte Nicole.
«So vorsichtig, dass er eigentlich nur in einer einzigen Absicht in Lamberts Wohnung gekommen sein kann: ihn umzubringen. Er war so umsichtig, dass er seine Medizin in einem neutralen Behälter bei sich hatte. Dann wiederum so unachtsam, dass er sie auf der Küchenplatte liegenließ. Was eigentlich nur darauf schließen lässt, dass Sophie vielleicht recht hat und er tatsächlich einen allergischen Anfall hatte, sodass er die Kontrolle verlor, die Tabletten verschüttete, das Glas zerbrach.»
«Und was hat den Anfall ausgelöst?», fragte Raffin.
«Wenn ich das wüsste. Wir müssen noch mal die ganzen alten Beweismittel durchgehen. Kommen wir da irgendwie dran?»
«Schon möglich. Der damalige Ermittlungsbeamte ist inzwischen im Ruhestand. Aber als ich mit ihm sprach, war deutlich zu merken, dass ihn der Fall immer noch wurmte, dass er innerlich noch nicht damit abgeschlossen hatte – na ja, eben einer von diesen ungelösten Fällen, die sich in einer ansonsten außerordentlich erfolgreichen Laufbahn nicht so gut machen. Ich schätze, wir können auf seine Hilfe bauen.»
Enzo überlegte. «1992, das ist lange her. Die Spur ist natürlich inzwischen eiskalt. Aber irgendwas muss es noch geben, etwas, das dem Mörder Angst macht. Außerdem sollten wir nicht vergessen, dass er eine viel frischere Spur hinterlassen hat. Kirsty hat den Mann bei der Pressekonferenz in Straßburg gesehen. Und zwei Tage später am Bahnhof. Wir haben ihn beide gesehen, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, im Taxi vor Kirstys Wohnung. Es ist derselbe Mann, der in Cahors Haarsträhnen von mir gekauft hat. Wir können zwar nicht mit Sicherheit sagen, ob er der Mörder ist, aber zumindest haben wir ein Gesicht.»
«Zwei», korrigierte ihn Nicole, und Enzo lächelte.
«Sie haben völlig recht – der falsche Arzt, der mir eröffnet hat, ich hätte Krebs im Endstadium. Das Gesicht werde ich so schnell nicht vergessen. Und er war gut. Ich meine, überzeugend. Wie ein Profi.»
«Sie meinen, wie ein echter Arzt?»
«Nein, wie ein Schauspieler. Und eines steht fest: Schauspieler zeigen ihr Gesicht, wo immer sie können, sind dauernd auf der Suche nach Engagements. Jemand
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