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Der Moloch: Roman (German Edition)

Der Moloch: Roman (German Edition)

Titel: Der Moloch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gemmell
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helle Robe trug, mit einer Kapuze, wie ein Engel oder ein Geist der Domanii. Dann jedoch kam ich wieder zu Sinnen und begriff, dass sie nur eine echte Frau war. Denn ihre Roben waren ein ganzes Stück über den Knöcheln abgeschnitten, und ihre Füße steckten in kräftigen Stiefeln mit dicken Sohlen. Ein durchaus passendes Schuhwerk für einen Gang durch die schrecklichen Kloaken. Sie schlug die Kapuze zurück, und ich sah, dass sie weder jung noch sonderlich alt war. Ihr Haar schimmerte silbern, fast wie das Mondlicht, und ihr Gesicht glich dem eines strengen Engels.
    Ich erhob mich, um sie um Hilfe zu bitten, aber dann ertönte ein Ruf ein Stück voraus aus dem Tunnel. Offenbar hatten meine Gefährten mein Fehlen bemerkt. Ich sah, wie ihre Fackeln in meine Richtung kamen, als sie sich beeilten, mich zu retten, und die Frau verschmolz wieder mit der Dunkelheit.
    Dann ging er mit den Kanalarbeitern weiter, wenn auch langsamer, und Creed beschrieb trotz seiner Furcht pflichtbewusst die vielen Tunnel, durch die sie kamen.
    Es schien mir fast wie ein Lebensalter, bevor wir endlich wieder den wundervollen Anblick des Tageslichtes schauen konnten, das durch die geschmiedeten Metallgitter über unseren Köpfen schien. Innerhalb einer Stunde war ich wieder im Schoß meiner Familie und brauchte viele Tage, um mich von dieser Prüfung zu erholen. Noch Wochen nach diesem Vorfall quälte mich die heraufziehende Nacht, denn ich fürchtete, dass sich die Wände meines Hauses verengen würden, und ich schlief nicht ohne Grund mit einem Nachtlicht in meiner Kammer.
    Aber im Herbst desselben Jahres hatte er sich so weit erholt, dass er einen der Arbeiter treffen konnte, die er auf ihrer unterirdischen Reise begleitet hatte. Der Mann, ein mürrischer grauhaariger Kerl, hatte bereits länger als ein Jahrzehnt für den Kaiser in den Abwasserkanälen gearbeitet.
    » Das hättest du uns erzählen sollen, Herr«, sagte der Mann ernst, als ich ihm meine merkwürdige Geschichte erzählte. » Die Leichtgläubigen nennen sie Gespenster, ich jedoch glaube, es sind Feinde der Cité, die sich durch die Kanäle herauswühlen.«
    Ich dachte an die große, anmutige Gestalt, die ich gesehen hatte. Die Theorie dieses braven Mannes, dass es sich bei ihr um einen feindlichen Tunnelgräber handelte, kam mir sehr unwahrscheinlich vor, aber ich wollte ihn nicht beleidigen. » Gespenster?«, fragte ich ihn deshalb. » Sagen die Leichtgläubigen auch, warum diese Geister in den Tiefen hausen?«
    Der ältere Mann sah zur Seite. » Es ist nicht bekannt«, antwortete er barsch, » ob sie dort leben oder ob sie dort hinabsteigen, um ihre Opfer zu suchen. Einige behaupten, sie leben dort an einem verzauberten Ort namens ›Halle der Wächter‹.«
    » Verzaubert?« Ich musste unwillkürlich lächeln, als ich dieses Wort wiederholte. » Sind es nun Gespenster oder Hexen?«
    Aber der Mann antwortete nicht, und nachdem Creed auch andere Kanalarbeiter gefragt hatte, tat er dieses Gerede von der Halle der Wächter als einen Mythos ab wie so viele, zum Beispiel den, dass die Geister von toten Kindern die Paläste des Schildes bewohnten oder dass angeblich Engel auf die Schlachtfelder herabstiegen, um die Seelen der toten Soldaten aufzusaugen. Kurz vor seinem Tod hatte er seine eigene Vision als Fantasmagorie eines Verstandes abgetan, der von Furcht, Erschöpfung und den Dämpfen der Kanalisation verwirrt war.
    Bartellus lehnte sich zurück. Er hatte diese Passagen ein Dutzend Mal gelesen, wütend über den Mangel an Informationen. Er starrte frustriert die Seiten an und hoffte, dass sie ihm eine Bedeutung verrieten, wenn er sie nur lange genug böse musterte.
    Die Halle der Wächter war die einzige Verbindung mit dieser Welt, die er kannte. Er dachte oft an die Kriegerin Indaro und verfluchte sich dafür, dass er damals so wenig auf seine Umgebung geachtet und danach so wenig davon im Gedächtnis behalten hatte. Er erinnerte sich an die große Halle mit den Fackeln und den Vogelreliefs, an den kleinen, stillen weißen Raum, wo er in der merkwürdigen Gesellschaft dieser alten Frau gegessen hatte. Das alles war ihm wie ein Traum vorgekommen, eine kurze Erholung für seinen Verstand von den höllischen Entbehrungen seines Lebens. Er und Emly hatten etliche Jahre nicht über diese Zeiten gesprochen, und als er schließlich doch das Mädchen gefragt hatte, waren Emlys Erinnerungen an diese Ereignisse ebenfalls ziemlich trüb.
    Während er so dasaß und über die

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