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Der Moloch: Roman (German Edition)

Der Moloch: Roman (German Edition)

Titel: Der Moloch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gemmell
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müssen. Gewiss, sie hatte sich erlaubt, hier glücklich zu sein, aber tief in ihrem Inneren hatte sie immer gewusst, dass dieses Glück nur von kurzer Dauer sein konnte. Ihr Leben war eine einzige Geschichte der Flucht, und sie war dankbar für die vier Jahre, die sie hier verbracht hatten. Das Wichtigste, das einzig wirklich Wichtige, war, dass Bartellus in Sicherheit war. Obwohl diese alte Frau, diese Archange ihn Shuskara genannt hatte. War das sein richtiger Name?
    Sie stand vom Bett auf und ging nach oben, stattete ihrer Werkstatt einen letzten Besuch ab, um nachzusehen, ob irgendetwas von dem, was hier herumlag, ihr auf ihrer Flucht von Nutzen sein könnte. Sie nahm die schwere Zange, mit der man die Bleifassungen schnitt, und ein schmales Skalpell, mit dem man Papier schneiden konnte. Beides war als Waffe zu gebrauchen, dachte sie. Dann ging sie zum Nordfenster, öffnete es und spähte hinab in die Gasse. Unter ihr war es stockdunkel. Nichts regte sich. Sie hörte ferne Geräusche, gedämpftes Gelächter, den Schrei einer Eule, das Rumpeln von Karren. Ihr fiel ein, dass es mitten in der Nacht war. Denn Archanges Besuch hatte sie lange nach ihrer normalen Zubettgehzeit wach gehalten, und die meisten in Lindo schliefen schon längst.
    Die einzigen Lichter brannten ein Stück weiter oben in der Allee, wo Kerzen aus niedrigen Fenstern ihren Schein auf die Pflastersteine hinauswarfen. Arbeiter der Frühschicht, dachte sie, oder Huren. Dann sah sie ein ganzes Stück entfernt eine dunkle Gestalt in einem Lichtkegel auftauchen, unmittelbar bevor sie wieder in der Dunkelheit verschwand. Ihr Herz schlug schneller, und sie sah zu, als diese Gestalt im nächsten Lichtkegel auftauchte. Bevor sie erneut verschwand, sah sie, dass der Mann eine Krücke hatte und sich langsam dem Haus des Glases näherte. Vor dem nächsten Lichtkegel lag ein langes Stück im Dunkeln, und Emly wartete ungeduldig. Schließlich kroch die Gestalt in Sicht, und jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Denn der Mann blieb stehen und lehnte sich gegen die Mauer, als könne er nicht weitergehen. Er war zerschlagen und krümmte sich.
    Es war Frayling.
    Stunden zuvor hatte Frayling auf seine Krücke gelehnt dagestanden und zum Haus des Kaufmanns hochgesehen. Er war fest entschlossen, nach diesem langen, mühsamen Weg hierher nicht mit leeren Händen zurückzukehren. Er wusste, dass er kaum noch die Energie besaß, am selben Tag wieder zum Haus des Glases zurückzugehen, und er fürchtete sich, die Cité bei Nacht zu durchqueren. Aber er konnte sich selbst einfach nicht eingestehen, dass er verloren hatte.
    Er trank ein paar Schlucke Wasser aus dem Springbrunnen und setzte sich dann auf die dem Haus gegenüberliegende Seite, wo man ihn nicht sehen konnte. Er lehnte sich mit dem Rücken an den warmen Stein.
    Dann versuchte er, sich auf das Problem zu konzentrieren, aber seine Gedanken kehrten immer wieder zu Emly zurück. Der Tag, an dem er sie das erste Mal gesehen hatte, war der erste Tag seines wahren Lebens gewesen. Unter all den Elenden und Niedergeschlagenen, den Bedürftigen und Lahmen von Lindo war sie ihm wie ein Mädchen vorgekommen, das auf dem Mond zu leben schien. Wie in den Geschichten, die man ihm als Kind erzählt hatte, ein Mädchen, das aus ihrem Heim im Himmel in der Nacht herabstieg, um sich unter die Armen zu mischen und den Kindern Geschenke zu bringen. Emly war dunkel und schnell wie ein Vogel, anmutig und kräftig wie die Geisterkatzen, die über die Dächer patrouillierten. Ihre zierlichen Finger waren geschickt, und seine Lieblingstage waren jene, wenn sie ihn in ihre Werkstatt rief, um ihr zu helfen, die Glasscheiben mit Bleifassungen zu verbinden. Sie war der freundlichste Mensch, den er jemals getroffen hatte, allerdings hatte er in seinem schwierigen Leben bisher überhaupt nur sehr wenige freundliche Menschen kennengelernt. Er hatte als Steinmetz gearbeitet und geholfen, die schweren Steine für die Meistersteinmetze zu drehen, damit sie dort ihre Signaturen einmeißeln konnten. Es war harte Arbeit, aber es war die einzige, die er bekommen konnte. Wenn er fertig war, konnte er oft nicht mehr tun, als zu schlafen, bevor es Zeit wurde, wieder an die Arbeit zu gehen. Sein Bein schmerzte unaufhörlich, und er verdiente kaum genug Geld, um Leib und Seele zusammenzuhalten. So humpelte er eines Tages spätabends zu seiner Absteige zurück, als er hörte, dass der neue Bewohner des Hauses gegenüber Meggys Quartierhaus nach einem

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