Der Moloch: Roman (German Edition)
Schleier gefragt.« Er stöhnte aus Schmerz oder vielleicht auch aus Enttäuschung.
Emly stellte sich vor, wie sie zum Haus des Kaufmanns ging, vielleicht mit Miliz, die von ihrem Vater engagiert worden war, und verlangte, den Schleier herauszugeben und Entschädigung für Fraylings Verletzungen zu leisten. Doch dann fiel ihr wieder ein, dass sie noch in dieser Nacht verschwinden mussten, und ihr wurde klar, dass sie Frayling nicht mitnehmen konnten. Es wäre viel zu gefährlich für den verkrüppelten Mann. Sie wusste, dass er sie verehrte, dieser große, schlurfende Mann mit seinem nutzlosen Bein und seinem freundlichen Herzen. Er wollte ihr Beschützer sein, und sie wünschte sich sehr, dass er es sein könnte. Sie hatte zu viele Beispiele für die Brutalität von Männern erlebt, und sie verstand einiges von dem grauenvollen Leben, unter dem viele Frauen leiden mussten, vor allem die armen und die schutzlosen. Ihr ganzes kurzes Leben lang hatte sie sich immer auf den Schutz von anderen verlassen, erst auf den ihres Bruders, dann auf den, den Bartellus ihr gewährte. Es machte ihr Angst, dass nur das Leben eines alten Mannes zwischen ihr und einer möglichen Zukunft aus Schmerz und Elend stand.
Als sie das Haus des Glases erreichten, schloss sie die Tür auf und ging mit Frayling hinein. Sie hatte sich ein kleines Drama überlegt, um die Tatsache vor Bartellus zu verbergen, dass sie in der Nacht draußen gewesen war. Sie legte einen Finger an die Lippen. Frayling runzelte die Stirn und nickte. Dann klopfte sie hart an die Innenseite der Tür und wartete, bis sie ihren Vater im Obergeschoss herumgehen hörte. Dann riss sie die Tür auf und grinste den Diener an.
» Frayling!«, schrie sie dramatisch und erheblich lauter, als nötig war.
Im nächsten Moment wich sie entsetzt zurück und versuchte, die schwere Tür wieder zu schließen. Aber die drei großen Männer, die in der Dunkelheit davor gelauert hatten, stießen sie einfach zur Seite und drängten sich herein. Zwei hatten Schwerter gezückt; der dritte, ein stämmiger Raufbold mit einem grauen Bart hielt einen Holzprügel, der mit Nägeln gespickt war. Er stieß die Tür hinter sich zu.
Ihr Anführer, ein dunkelhäutiger Mann mit einer Augenklappe, packte Emlys Arm. » Wo ist der Alte?«, erkundigte er sich. Er blickte zur Treppe. » Da oben?«
Sie schüttelte den Kopf, und er stieß sie zu Boden. Sie fiel hart gegen die Tür, und ihr Kopf prallte von der Eiche ab. Einen Moment wurde es dunkel vor ihren Augen, und sie hatte keine Kraft mehr in ihren Gliedmaßen. Der Einäugige drehte ihr den Rücken zu, während der zweite Schwertträger seine Waffe hob, um sie zu erstechen. Im nächsten Moment fiel er um, als Frayling ihm mit einem lauten Schrei die Krücke über den Schädel zog. Der mit dem Prügel lachte kurz, als sein Freund zu Boden ging, dann schlug er fast beiläufig nach Frayling. Der Krüppel versuchte, dem langsamen Schlag auszuweichen. Trotzdem traf ihn der Prügel an seiner verletzten Hüfte. Frayling schrie gequält auf und brach am Fuß der Treppe zusammen. Emly schüttelte den Kopf, um ihre Benommenheit zu vertreiben, und krabbelte über den Boden zu ihm. Der Diener hatte die Augen geöffnet, aber der Schmerz schien ihn gelähmt zu haben.
Dann hörte man von oben einen Schrei, und alle sahen hoch. Bartellus war am oberen Treppenabsatz aufgetaucht. Er ging zwei Stufen hinab, und Emly beobachtete, wie er mit einem Blick die Szenerie unter sich erfasste. Dann verschwand er wieder in seinem Zimmer.
Der einäugige Anführer, den sie den Wolf nannten, nannte sich selbst nicht Meuchelmörder, obwohl er niemandem widersprochen hätte, der das getan hätte. Er führte einfach nur die Befehle seines Patrons aus, und wenn man ihm befahl zu töten, nun, dann tat er das so effizient wie möglich, ohne Hass oder Grausamkeit. Er hatte keine Ahnung, warum man ihm befohlen hatte, diesen alten Mann umzulegen, der jetzt gerade über die Treppe vor ihnen flüchtete. Aber er bezweifelte, dass man dafür sie alle drei brauchte.
Der Wolf war einst als Casmir bekannt gewesen, ein Infanterist der Achtzehnten Serpentine, die mehr als fünfzehn Jahre lang loyal für seine Cité gekämpft hatte. Zuerst unter dem legendären Grantus, dann unter seinem Nachfolger Victorinus Rae Khan. Sein letzter Kampf war ein lächerliches Scharmützel in einem kleinen Stammesdorf südlich vom Plakos gewesen. Anschließend zogen die Krieger der Cité weiter und ließen ein Dorf
Weitere Kostenlose Bücher