Der Moloch: Roman (German Edition)
lichtdurchfluteten Raum auf sie zu. Helle Vorhänge wehten in einer schwachen Brise, und aus weiter Ferne hörte sie das Summen der Insekten an einem Sommernachmittag. Fell trug seine Ausgehuniform aus rotem, goldbesticktem Leder. Sie hatte diese Uniform noch nie an ihm gesehen. Er sah so jung aus, seine Haut wirkte gesund und rosig, und sein Schritt war energisch. Aber als er näher kam, konnte sie sehen, dass seine Augen trübe und alt waren und voller Angst. Sie streckte die Arme nach ihm aus. Sie wollte den Schmerz lindern, den Kummer, ihn wieder gesund machen. Denn sie war die Einzige, die das konnte.
Fell sah sie an, aber plötzlich glitt sein Blick zu jemandem hinter ihr, und das Blut wich aus seinem Gesicht. Er blieb stehen.
Sie drehte sich nicht um, sondern trat vor. » Sieh mich an«, sagte sie, obwohl sie die Worte nicht hören konnte. » Sieh mich an, nicht ihn!«
Aber Fells Blick war wie gebannt. Sie machte einen weiteren Schritt auf ihn zu, obwohl sie wusste, dass es falsch war. » Sieh mich an, nicht ihn!«
Tränen aus Blut rannen aus Fells Augen, liefen über sein Gesicht und tropften auf das rote Leder. Eine Fontäne aus Blut spritzte aus seinem Mund, und sein ganzer Körper zitterte, als hätte er einen Fieberkrampf.
Dann explodierte seine Brust.
Indaro erwachte voller Panik, wie sie immer aus diesem Albtraum erwachte. Ihre Finger gruben sich in den Fels unter ihr. Um sie herum war nur Dunkelheit, und die Ruhe wurde nur von dem Schnarchen der schlafenden Soldaten und dem Brausen des fernen Wassers gestört. Elija lag neben ihr. Er wandte den Kopf und sah sie an. » Nur ein Albtraum«, meinte er. Sie legte sich wieder hin und schlief traumlos weiter.
Zuerst fürchtete Bartellus schon, er bildete sich nur ein, dass die Flut allmählich zurückging. Aber nach einer Weile merkte er, wie die Strömung an seiner Kleidung zupfte, während das Wasser aus der Zelle lief. Er war vollkommen erschöpft, aber er war am Leben. Er betete dankbar zu den Göttern von Eis und Feuer, die zwar zuließen, dass er große Entbehrungen erleiden musste, ihm aber immer ihre Gnade erwiesen hatten. Sobald er sich dazu in der Lage fühlte, bückte er sich und schob drei Finger in das Loch, das er in die Tür gepickt hatte. Er zerrte daran, und diesmal war er sicher, dass das Holz nachgab. Er hockte sich auf die Fersen, was ihm große Schmerzen bereitete, aber so konnte er fester zupacken, und versuchte es erneut, zog mit aller Kraft, bis seine Knie vor Qual zu brennen schienen und vor seinen Augen bunte Lichter tanzten. Er stöhnte vor Anstrengung, und die Tür knarrte mit ihm … Dann gab das verfaulte Holz mit einem lauten Krachen nach. Die senkrechte Planke brach etwa in Kniehöhe heraus. Der Spalt war zwar nicht so groß, dass er hätte hindurchkrabbeln können, aber jetzt konnte der alte Mann die anderen Planken packen. Er musste all seine Kraft zusammennehmen und riss sich die Haut der rechten Hand an den scharfen Holzkanten auf, aber endlich schaffte er es, ein Loch in die Tür zu machen, das groß genug war, um sich hindurchzuzwängen.
Draußen vor der Zelle erwartete ihn tiefe Dunkelheit. Das Wasser schwappte um seine Knöchel, und er versuchte, sich zu orientieren. Der Korridor stieg nach links an und fiel nach rechts ab. Das Wasser floss ziemlich zügig über die Steine. Seine Lektüre in der Großen Bibliothek hatte ihn gelehrt, dass die Verliese in der Regierungszeit des Kaisers Saduccus errichtet worden waren, dem größten Bauherrn der Cité, unter dessen Ägide auch der Rote Palast um das alte Fort, den Fried, erbaut worden war. Selbst damals schon waren die Kerker bei schlechtem Wetter überflutet worden, und er hatte voller Belustigung gelesen, dass zu der Zeit der General der Palastwache einen wütenden Brief an den Chefingenieur geschrieben hatte, indem er sich darüber beschwerte, dass bei schlechtem Wetter das Wasser durch alle neuen Zellen lief und die Quartiere der Wachen überflutete, die sich auf einer tiefer gelegenen Ebene befanden. Obwohl Bartellus’ Instinkte ihm rieten, nach oben zu gehen, vertraute er dem, was er gelesen hatte, und machte sich auf den Weg nach unten, wandte sich nach rechts und, wie er hoffte, in Richtung des Eingangs. Er seufzte und staunte darüber, dass er sich an ein Bruchstück einer Information erinnern konnte, von der er vor Jahren gelesen hatte, ihm aber der Name eines alten Freundes nicht mehr einfallen wollte.
Er schlurfte weiter, stützte sich mit einer Hand
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