Der Moloch: Roman (German Edition)
Knöchel, und sie hörten ein Geräusch, das wie Donner klang. Aber es war kein Donner, denn es schien aus den Wänden zu kommen. Außerdem hörten sie schwache Schreie, Gebrüll und das Klirren von Metall. Die einzigen Leute, denen sie begegneten, waren Bedienstete und ab und zu ein Soldat. Aber sie alle schienen auf der Flucht zu sein und zeigten kein Interesse an ihnen. Irgendwann gelangten sie in einen Teil des Palastes, der zusammengebrochen war. Sie mussten über zerborstene Mauern und Trümmer klettern. Durch ein Loch im Dach schien die Sonne herein. Die Männer sahen sich verblüfft um, weil sie nicht wussten, was diese Zerstörung verursacht hatte.
Emly ging wie im Traum, in einem Zustand der Müdigkeit, Furcht und Orientierungslosigkeit. Sie hatte keine Ahnung, wo sie waren oder wohin sie gingen. Der Anblick des Tageslichts überraschte sie.
Bartellus befahl stehen zu bleiben und drehte sich zu ihr um. » Wir gehen zum Fried, Emly, falls er noch steht, aber dort erwarten uns nur Tod und Blut. Vorher suchen wir einen sicheren Unterschlupf für dich.«
» Was ist mit der Vierten Imperialen?«, fragte sie ihn, ihn an ihren ursprünglichen Plan erinnernd.
Der General wirkte etwas verlegen. » Wie es scheint, war ich nicht mehr auf dem Laufenden. Die Vierte wurde vor zwei Jahren aufgelöst.« Er lächelte, und jetzt sah sie wieder einen Hauch ihres Vaters in ihm, des Mannes, der sie aus den Hallen gerettet hatte. » Wir werden erst einen sicheren Ort für dich suchen«, wiederholte er. » In diesem Chaos wird niemand auf ein einzelnes Mädchen achten.«
» Sieh dich doch um«, erwiderte sie leicht gereizt. » Der Palast fällt auseinander. Hier gibt es keinen sicheren Ort. Ich würde lieber bei dir bleiben, Vater.«
Er nickte zerstreut und beschäftigte sich, nachdem die Entscheidung getroffen war, bereits wieder mit anderen Dingen. » Wie weit sind wir vom Fried entfernt?«, fragte er Darius, der ungeduldig wartete. » Ich kann es nicht abschätzen.«
» Ein paar Schritte«, erwiderte der Krieger kurz.
» Halte dich ein Stück hinter uns«, befahl Bartellus Emly. » Wenn es zum Kampf kommt, dann lauf davon. Wenn wir getrennt werden, lauf zurück zum Haus des Glases.«
Sie sah ihn furchtsam an. » Das Haus des Glases ist abgebrannt«, erinnerte sie ihn.
Er schüttelte, verärgert über sein unzuverlässiges Gedächtnis, den Kopf. » Dann zu Meggys Quartierhaus. Falls das noch steht.«
» Und wenn nicht?«
» Dann werde ich dich finden.«
Dann war es zu spät für Worte. Denn sie hörten das Geräusch von schnellen, gestiefelten Füßen hinter sich. Bartellus und Darius hoben ihre Schwerter, aber nach wenigen Augenblicken waren sie von Kriegern in schwarzsilbernen Uniformen eingeholt worden.
44
Als Hayden Weber über den Schutt der Adamantinischen Mauer kletterte, hatte es endlich aufgehört zu regnen. Dunstige Sonnenstrahlen erhellten die Ruinen der Cité. Zum ersten Mal in diesem Winter schien die Sonne. Hayden war nicht abergläubisch und achtete nicht auf Zeichen und Vorahnungen, sonst hätte er das vielleicht als Omen gedeutet.
Man konnte kaum glauben, dass erst am Morgen diese zwei gewaltigen Wellen durch die Straßen gebrochen waren. Alle Flächen aus Stein, Holz oder Ziegeln glänzten im Sonnenlicht. Kein Mensch war zu sehen, kein Tier und auch kein Schutt. Auch das Wasser war verschwunden, abgelaufen in die Kanalisation und die Siele. Wenn in ein paar Stunden die nassen Straßen und Boulevards getrocknet waren, würde man unmöglich erkennen können, welche Katastrophe so viele Menschen getötet und so viele Gebäude zerstört hatte. Die meisten Leichen waren fortgespült, wahrscheinlich in die Kanäle und Abwassergräben gerissen worden oder lagen immer noch in den Wohnungen, in denen sie ertrunken waren. Vielleicht, dachte Hayden, war die Stadt auch schon vorher entvölkert gewesen, haben die meisten Einwohner schon lange auf den Schlachtfeldern ihr Leben gelassen, und der Rest, Kinder, junge Mütter und alte Weiber, ist längst auf der Flucht.
Im Süden der Cité, in zehn Wegstunden Entfernung zwischen den beiden großen Mauern und dem Roten Palast, hatten die Wassermassen die größten Schäden angerichtet. Der Palast selbst, der nach Einschätzung der Ingenieure des Generals bereits durch den Zusammenbruch des Entwässerungssystems entscheidend angeschlagen war, hätte eigentlich unter dem Ansturm der wilden Wassermassen zusammenstürzen sollen. Aber als er in die zunehmende
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