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Der Moloch: Roman (German Edition)

Der Moloch: Roman (German Edition)

Titel: Der Moloch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gemmell
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roten Haarschopf bereits ein paar graue Strähnen zeigten. Wie alt war er? Achtzehn? Zwanzig? Bedenklich, dass sie sich nicht an das Alter ihres Bruders erinnern konnte, ja nicht einmal daran, ob er jünger oder älter war als sie.
    Jetzt ging ihr Vater an ihrer Seite, Reeve. Er sagte: » Vincerus, Sarkoy, Broglanh, Gaeta, Khan und Kerr. Merke dir diese Namen. Sie sind deine Vergangenheit und deine Zukunft. Sie sind deine Feinde.«
    Diese Worte hatte sie als Kind oft gehört.
    » Alle fürchten sich vor Sarkoy und Vincerus«, fuhr ihr Vater fort, senkte den Blick und sah zu, wie ihre Schritte Staub aufwirbelten. » Aber nur die Gaetas kennen die wahre Macht des Schleiers.«
    Sie fuhr aus dem Dämmerschlaf hoch. Es dauerte einen Moment, bis sich der Traum verflüchtigt hatte, und sie dachte, dass sie besser aufstehen sollte. Aber die Zeit verstrich, und irgendwie saß sie immer noch zusammengesackt auf dem Boden. Sie stemmte sich hoch, damit sie aufrechter an der Wand sitzen konnte. Die Wunde an ihrer Seite tat nicht mehr weh. Das ist entweder ein gutes oder ein sehr schlechtes Zeichen, dachte sie.
    Die Schlacht hatte wieder begonnen. Sie hörte, wie Schwerter und Schilde aneinanderkrachten, hörte tödliche Schmerzensschreie, Anfeuerungsrufe, Jubel und Angstschreie. Sie konnte frisches Blut riechen, aber es war nicht ihr eigenes. Auf dem Treppenabsatz vor ihr rannten die Männer durcheinander. Beine bewegten sich hastig hin und her – mit Beinschienen, unter gepanzerten Lendenschurzen, in Lederhosen, Beine in Baumwollhosen oder Leinen, manche nackt und haarig. Sie ertappte sich dabei, wie sie zählte, hörte dann aber wieder damit auf. Es war nicht ihre Aufgabe, die Verluste zu zählen. Sie wunderte sich, dass keine Frauen unter den Kriegern waren. Es schien, als sei sie die einzige. Dann fiel ihr ein, dass die Nachtfalken ursprünglich eine Kavallerieschwadron gewesen waren. Die Cité verfügte nur über sehr wenige weibliche Reiter. Man sagte den Frauen nach, sie seien nicht geschickt genug, um gleichzeitig zu reiten und zu kämpfen. Nur geschickt genug, um sich in den Gräben der Infanterie abschlachten zu lassen.
    Sie rieb sich den Dreck aus den Augen. Beine, die in Seide gekleidet waren – dunkelgrüne Seide –, kamen auf sie zu. Die Seide schimmerte im flackernden Licht der Fackeln, und sie wollte die Hand ausstrecken, das glänzende, zarte Material berühren, das so anders war als schmutzige Baumwolle oder Wolle.
    Die grün gewandete Gestalt hockte sich neben sie, um mit ihr zu sprechen, und sie erkannte den Knaben, den sie aus dem Wrack der kaiserlichen Kutsche gerettet hatte. Er war blass und blond. Seine Brauen wölbten sich anmutig über den dunklen Augen. Eines seiner Lider hing ein wenig herab, was ihm eine gewisse Lässigkeit verlieh. Er war unbewaffnet und konnte kaum älter als sechzehn Jahre sein.
    » Weißt du, wer ich bin?«, fragte er.
    » Ich habe dir aus der Kutsche des Unsterblichen geholfen«, antwortete sie und schob sich näher an die Wand. Seine Augen waren so heiß und schwarz glänzend wie flüssiges Pech.
    » Wusstest du damals, wer ich war?«
    » Nein«, antwortete sie. Die Bedrohung, die von ihm ausging, seine Nähe, ließ sie erstarren. Sie trug keine Waffe mehr. Und zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass sie stank, als wäre sie schon vor einer Woche gestorben. Sie sah sich um, aber die Kämpfer schienen den Neuankömmling im Getümmel der Schlacht nicht zu bemerken.
    Er nickte. » Trotzdem waren deine Absichten ehrenwert. Deshalb werde ich dich nicht umbringen. Du bist verletzt. Stirbst du?«
    » Nein.«
    » Nein«, pflichtete er ihr bei. » Das tust du wahrscheinlich tatsächlich nicht. Du bist Indaro Kerr Guillaume, und ich sollte dich eigentlich besser töten.« Er wirkte unentschlossen.
    Indaro suchte den Boden fieberhaft nach einer Waffe ab. Auf Armeslänge lag ein herrenloser Schild. Sie konnte sich damit verteidigen, ihn damit töten. Er sah so zart aus, seine Arme und Beine so dünn und knochig. Aber irgendwie konnte sie sich nicht bewegen, und er stand auf und ging fort. Sie wollte einen Warnruf ausstoßen, aber in dem Schlachtgetümmel würde sie niemand hören. Und er war nur ein Knabe. Also sah sie ihm nach, wie er davonglitt und sich geschmeidig zwischen den Bewaffneten hindurchschlängelte. Die Kämpfer bemerkten ihn nicht, als wäre er unsichtbar. Dann ging er die Treppe hinunter und verschwand.
    Bartellus verfolgte die Schlacht von seinem Beobachtungsposten auf

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