Der Moloch: Roman (German Edition)
…
» Dieser Fisch stinkt«, sagte Doon und zog ihre Nase kraus. Dann spuckte sie das bereits gekaute graue Fleisch auf ihren Teller und begnügte sich stattdessen mit Brot.
» Mir schmeckt es jedenfalls«, erklärte Broglanh mit vollem Mund.
» Gibt es denn irgendetwas, was du nicht isst?«, wollte Doon wissen.
Broglanh zuckte mit den Schultern. » Iss, solange du kannst.« Er schluckte. » Irgendjemand hat mal gesagt, eine Armee marschiert mit ihren Bäuchen.«
» Den Göttern sei Dank, dass wir nicht marschieren müssen.«
Sie aßen schweigend weiter. Selbst Broglanh hatte keine Lust auf Konversation. Indaro beugte sich über ihren Teller und dachte an den Marsch zurück zu ihrem Lager. Die Strecke kam ihr mit ihren bleiernen Beinen unvorstellbar lang vor. Sie brauchte schon alle Energie, nur um aufrecht sitzen zu bleiben.
Plötzlich merkte sie, dass sich die Atmosphäre verändert hatte und eine gewisse Spannung in der Luft hing. Sie sah hoch und bemerkte den dunkelhaarigen Krieger, der zwischen den Tischen umherging, einen Teller in der Hand. Alle Soldaten waren verstummt. Er kam in ihre Richtung. Sie betete, dass er weiterging. Er blieb stehen und stellte seinen Teller auf den Tisch. Dann sah er sich nach ihnen um. Niemand erwiderte seinen Blick, nicht einmal Broglanh. Der dunkelhaarige Mann setzte sich und nahm ein Stück Maisbrot. Die Gespräche an den Tischen um sie herum gingen weiter, aber sie waren gedämpfter, und Indaro spürte, wie die Blicke der Leute auf ihren Tisch gerichtet waren.
Fell Aron Lee war der Kommandeur ihrer Kompanie und mit seinen fünfundzwanzig Jahren bereits eine Legende. Er war ein Veteran und wurde von seinen Truppen förmlich angebetet. Normalerweise, jedenfalls aller Erfahrung nach, sank der Ruf eines Soldaten in dem Maße, in dem er in der Rangordnung hinaufkletterte. Zugführer galten als ehrgeizige Narren. Und die Generäle, bis auf wenige vornehme Ausnahmen, wurden verachtet und waren als grausam, feige und dumm verschrien. Unter den vielen komplizierten Dienstgraden galt der Kommandeur einer Kompanie als Einfaltspinsel oder Feigling, gewöhnlich als beides. Aber Fell Aron Lee war für sie alle einfach nur ein Held. Er hatte seinen Ruhm im Zweiten Krieg vom Kap Salient begründet, vor fünf Jahren, als er eine geniale Expedition unternommen hatte, durch die die Strände jenes so wichtigen Stützpunktes zurückerobert werden konnten, und dabei nur drei tote Soldaten beklagt werden mussten. Von denen einer auch nur starb, weil er von einer Ziege erschreckt wurde und von einer Klippe stürzte. Nur die Eifersucht der hohen Offiziere verhinderte, dass der Mann bereits General war, darin waren sich alle einig. Obwohl Gerüchte behaupteten, er wäre der uneheliche Sohn ihres verschwundenen Helden Shuskara. Solche Gerüchte gab es immer.
Indaro hatte nur einmal mit ihm gesprochen, als sie geplagt von Zweifeln zur Armee zurückgekehrt war. An diesem Tag hatte sie immer noch geglaubt, sie könnte wegen ihrer dreijährigen unerlaubten Abwesenheit möglicherweise hingerichtet werden. Man brachte sie in das Zelt eines dunkelhaarigen Mannes mittleren Alters, der eine gewöhnliche Uniform trug. Er saß hinter einem Schreibtisch und blätterte irgendwelche Papiere durch. Das Erste, was sie an ihm bemerkte, war eine tiefe Delle von der Größe eines Daumens an der rechten Seite seiner Stirn. Die Haut darüber war hell und gespannt und schien zu pulsieren. Er sah zu ihr hoch. Seine Augen waren von einem erstaunlichen Blau.
» Indaro Kerr Guillaume«, sagte der Soldat, der sie begleitet hatte. Er stolperte über ihren Nachnamen.
» Ich kannte deinen Vater«, sagte der Offizier, obwohl sein Gesicht vollkommen unbewegt blieb. Aber die Anspannung in ihrer Brust linderte sich ein wenig. Dann sprach er weiter. » Ich habe niemals denen geglaubt, die behaupteten, er hätte eine Familie von Deserteuren großgezogen.«
Indaros Stimme klang trocken und hölzern. » Er wusste nichts von meiner … Abwesenheit. Er hat mich enterbt, Ser.«
Das war eine Lüge, und der Mann wusste es. Aber er nickte trotzdem.
» Meine Aufgabe besteht darin, Schlachten zu gewinnen«, sagte er nach einer kleinen Pause. » Ich brauche alle Kräfte, die ich bekommen kann. Man hat mir gesagt, du wärst eine exzellente Schwertkämpferin. Ich kann es mir nicht leisten, dich zu verschwenden.«
Er gab dem Wachsoldaten ein Zeichen und vertiefte sich dann wieder in seine Papiere.
Jetzt, am Tisch in der Messe,
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