Der Moloch: Roman (German Edition)
Pferd, und dann stiegen sie ebenfalls auf.
Der Anführer ritt neben Fell. » Deine vier Soldaten«, sagte er mit seinem merkwürdigen Akzent, » garantieren dein Wohlverhalten. Muss ich dir deine Hände auf den Rücken binden?«
Fell schüttelte den Kopf. Er blieb an der Spitze der Schwadron, zusammen mit dem Anführer, während Indaro und die anderen in die Mitte der Abteilung geführt wurden. Indaro hörte, wie Fell dem Anführer eine Frage stellte. » Wohin reiten wir?«
» Zum Alten Berg«, antwortete der Mann.
Teil drei – DAS HAUS DES GLASES
15
Das große windschiefe Gebäude erhob sich wie ein gebeugter Reiher über der Blauenten-Allee. Seine vielen Keller waren in einer längst vergessenen Vergangenheit erbaut worden, und die tiefste Ebene lag inzwischen ständig unter Wasser. Das Erdgeschoss des Hauses war ein jahrhundertealtes, gedrungenes Steingebäude, dessen Fenster gegen die neugierigen Blicke der Nachbarn und diebischen Finger ihrer Kinder mit Brettern verbarrikadiert waren. Darüber erhoben sich vier Stockwerke aus zerfallenden Ziegeln und bröckeligem Mörtel, jedes ein Stück kleiner als die Etage darunter. Die Bogenfenster waren alle in fröhlichen, unterschiedlichen Farben bemalt. Ganz oben auf dem Haus thronte, wie im Nachhinein daraufgesetzt und ein bisschen grotesk, fast wie das Krähennest an einem Schiffsmast, ein übergroßes Bauwerk aus Holz und roten Dachziegeln, ein Speicher, eine Werkstatt und das Herz des Hauses. Das ganze Gebäude, das von seinen Nachbarhäusern nur bis zum zweiten Stockwerk gestützt wurde, beugte sich schwindelerregend vor, offenbar überlastet von dem gewaltigen Gewicht ganz oben. Und tatsächlich hatte ein früherer Bewohner, der sich sorgte, weil das Haus in den starken Nordwinden so schwankte, ein Gerüst aus Holz errichtet, das von der Vorderwand des Arbeitsraumes hinüber zum spitzen Giebeldach des hohen Quartierhauses auf der anderen Seite der Gasse reichte. Jetzt lehnten sich die beiden großen Gebäude gemütlich aneinander, vereint und gleichzeitig getrennt durch das Gerüst in schwindelerregender Höhe. Nur die schneeweißen Katzen, die sogenannten Geisterkatzen, die in diesem Viertel beheimatet waren, balancierten geschickt über diesen hölzernen Pfad hoch über den Pflastersteinen der Allee.
Die klammen Räume im Erdgeschoss dieses Hauses des Glases beherbergten einen Brennofen, eine Werkstatt und Lagerräume. Hinter dem Haus lag ein kleiner Hof, in dem braune Ratten und die weißen Katzen zu Hause waren, die Erstere jagten. Im ersten Stock des Hauses befanden sich ein weiterer Lagerraum und eine kleine Küche, die allerdings nur selten benutzt wurde. Darüber schließlich lagen ein Salon und ein Arbeitszimmer, und über jenen verteilten sich etliche Schlafzimmer über zwei Stockwerke, die ebenfalls kaum jemand bewohnte.
Die Werkstatt ganz oben auf dem Haus war nur über eine solide Holzleiter zu erreichen, die täglich von jenen verflucht wurde, die sie erklimmen mussten. Die dunkelhaarige junge Frau, die dort oben arbeitete, kümmerte das nicht. Der Raum war hell und luftig, und sie liebte ihn. Weder die mürrischen Proteste ihres Vaters noch die des lahmen Frayling, der für sie arbeitete, oder auch das Meckern der Scharen von Dienstboten und Haushälterinnen, die abwechselnd aufmarschierten, um das Haus zu säubern, vermochten daran etwas zu ändern.
Die junge Frau saß auf der Bank des breiten Südfensters, die nackten Füße auf dem Holz, und blickte auf die geschäftige Cité hinaus, über das Durcheinander der Dächer hinweg. Lindo war ein armes Viertel, das nach Norden hin vom Großen Fluss und nach Westen von der Adamantine-Mauer umgrenzt wurde. Tief unter ihr befand sich ein Labyrinth aus Gassen und verwahrlosten Straßen, mit Tausenden von Hütten, die aus dem Abfall der reicheren Leute zusammengestückelt worden waren. Überall im Viertel fanden sich große, dunkle und verfallene Gebäude, die früher einmal Heime von Wohlhabenden gewesen waren. Jetzt dienten sie als Elendsquartiere für die Ärmsten der Armen. Nur wenige Häuser waren so hoch wie das Haus des Glases, deshalb hatte sie einen ungehinderten Blick über das ärmliche Lindo, das weit entfernte Otaro mit seinen Türmen und grauen Wäldern bis hin zum Roten Palast in der diesigen Ferne. Seit der Großen Flut vor einem Monat schien der Nebel die Cité förmlich zu ersticken; früh am Morgen sah er aus wie ein Meer, grau und bedrohlich, und die hohen Gebäude ragten wie
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