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Der Moloch: Roman (German Edition)

Der Moloch: Roman (German Edition)

Titel: Der Moloch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gemmell
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er ernst, » und ich werde mit dir gehen. Aber es ist eine Frage der Höflichkeit. Dies ist unser wichtigster Auftrag. Und der Kaufmann ist ein ausgezeichneter Kunde. Außerdem ist er ein guter Mensch. Deine Respektlosigkeit hat er nicht verdient.«
    Seine Stimme klang hart, wie sie sie nur selten gehört hatte, und ihr sank der Mut, denn sie wusste, dass sie sich ihm nicht verweigern konnte. Sie hasste es, Menschen zu treffen, und fürchtete sich, mit ihnen zu sprechen. Viele Leute glaubten, dass sie gar nicht sprechen konnte, und nannten sie hinter ihrem Rücken » Dummkopf«. Manchmal sagten sie es ihr sogar ins Gesicht. In Wirklichkeit jedoch setzte sie ihre Worte sehr sparsam ein, als hätte sie nur eine kleine Handvoll davon, die sie den Leuten nur Tropfen um Tropfen geben konnte. Sie war der Meinung, ihre Fenster sprächen für sie.
    Und zudem bedurfte es keiner Worte, um ihrem Vater mitzuteilen, wie sie sich bei der Aussicht, den Kaufmann besuchen zu müssen, fühlte.
    » Wie lange noch?«, fragte er sie und warf einen Blick auf den Eichentisch.
    Sie hielt vier Finger hoch.
    » Dann werde ich ihm sagen, dass wir am letzten Tag des Monats liefern werden.« Er ging zum Südfenster. Davor war ein kräftiger Flaschenzug an den Holzbalken befestigt worden, die in die Gasse hinausragten. » Das ist die größte Arbeit, die du jemals geschaffen hast. Sie wird sehr schwer sein. Ich glaube, wir sollten das Fenster in zwei, vielleicht sogar in drei Teilen herunterlassen. Und es dann im Haus des Kaufmanns wieder zusammensetzen.«
    Er sah den Widerspruch auf ihrem Gesicht und redete weiter. » Das Fenster ist sehr schwer und zerbrechlich, und es ist ein halbes Jahr Arbeit wert. Es ist ein langer Weg nach Otaro. Wenn es einen Unfall gibt, wäre es besser, nur ein Drittel seiner Arbeit zu verlieren, statt alles auf einmal zu riskieren.«
    Natürlich hatte er Recht, aber sie konnte ihm nicht erklären, wie wichtig es für sie war, die ganze Arbeit in einem Stück zu beenden und zu sehen, wie sie das Haus des Glases vollständig verließ. Das letzte halbe Jahr war ein Segen gewesen. Ihr Herz raste jeden Morgen vor Aufregung, wenn sie aufwachte und an die Arbeit dachte, die vor ihr lag. Diese letzten Tage würden traurig sein, denn in das Fenster hatte sie all ihre Fähigkeiten und Liebe gelegt, und bald würde es verschwinden. Wenn es diesen Ort in Stücken verließ, unvollendet, würde es einen leeren Platz in ihrem Herzen hinterlassen.
    Aber, dachte sie, diese Tage sind jetzt ohnehin verdorben, durch die Aussicht, den Kaufmann mit dem fetten Gesicht zu treffen und seine Freunde und Schmarotzer, die er zweifellos einladen würde, damit sie sahen, wie das Fenster an seinem Platz eingesetzt wurde. Sie alle würden sie aus den Augenwinkeln beobachten, und wenn sie glaubten, dass sie nicht hinsah oder nicht zuhörte, würden sie miteinander tuscheln, feixend oder mitfühlend, je nach ihrem Charakter.
    Ihr Vater sah sie ruhig an und wartete auf ihre Reaktion. Also zwang sie sich zu einem Lächeln und nickte. Er wusste, dass sie sich dazu zwingen musste, und liebte sie für ihre Tapferkeit. Und sie liebte ihn dafür, dass er es nicht laut aussprach.
    » Danke, kleiner Soldat«, sagte er.
    Bartellus stieg langsam die Leiter wieder hinunter und machte von Zeit zu Zeit eine Pause, um sein schmerzendes Knie zu entlasten. Anfangs, als Emly und er das Haus in der Blauenten-Allee bezogen hatten, hatte er zweifelnd auf die steilen Treppen und die Leiter zur Werkstatt geschaut. Aber er hatte sich gedacht, dass er nur wenig Grund haben würde, dort hinaufzugehen. Und nun verbrachte er sogar einen Teil jeden Tages dort oben mit Emly. Er liebte es, ihr beim Arbeiten zuzusehen. Er hatte immer schon ihre Anmut und ihre Kraft bewundert, selbst als sie noch ein Kind gewesen war. Jetzt jedoch hatte sie eine Geschicklichkeit und Fertigkeit entwickelt, die seinen Horizont überstieg. Er sah die wundervollen Gemälde, die sie als Planung für ihre Arbeit schuf, und staunte, wenn sie diese Bilder auf dem dünnen Papier und diese zierlichen Pinselstriche in wundervolle, bunte Glasfenster verwandelte, die das Auge entzückten und die Seele erwärmten. Sie nahm Scheiben aus einfachem Glas, die von Frayling in seiner Werkstatt im Erdgeschoss hergestellt wurden, und verwandelte sie, formte sie um, indem sie die Ränder mit einer Glaserfeile glättete, dann bemalte sie sie mit schwarzer Farbe, schuf damit Gesichter, Muskeln und wogende Meeresblätter, die

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