Der Moloch: Roman (German Edition)
Spitzen der Tentakel des Monsters und Fischkiemen.
Emly liebte ihre Arbeit, und sie liebte dieses Heim, in dem sie, wie er hoffte, zum ersten Mal in ihrem Leben glücklich war. Aber obwohl sie niemals darüber gesprochen hatten, wusste sie ebenso gut wie er, dass sie schon bald weiterziehen mussten. Sie führten zwar nicht das Leben von Flüchtlingen, aber genau das waren sie.
Bartellus trat aus einer kleinen Seitentür und bog in die Blauenten-Allee ein. Er folgte der verschlungenen Gasse weg vom Fluss nach Westen zur Adamantine-Mauer. Sie wohnten in dem Teil der Cité, den man Lindo nannte. Früher einmal war es ein Viertel der Wohlhabenden und Privilegierten gewesen, aber das war schon viele Jahrhunderte her. Die meisten älteren Menschen nannten es das Arsenal, weil in früheren Generationen die Waffenschmieden des Kaisers hier ansässig gewesen waren. Sie hatten von dem frischen Nordwind profitiert, der unaufhörlich über ihre bergigen Straßen wehte. Aber die Cité wuchs, und die Waffenschmiede und ihre Essen waren nach Süden und Osten verlagert worden, an den Rand der Cité und näher zu den Armeen, die sie versorgten.
Jetzt waren die hohen Häuser der Reichen hier im Arsenal, jedenfalls jene, die noch standen, finstere Elendsquartiere für die Alten und Armen. In einer Stadt, die permanent im Krieg lag, erwartete jene, die ihre vielen Jahre Militärdienst überlebt hatten, nur ein elendes Dahinvegetieren wegen der Verkrüppelungen durch Kriegsverletzungen und die Demenz, die alle Alten traf. In diesen Elendsquartieren hauste der Abschaum der Cité, verstümmelte oder demente alte Männer und Frauen, die sich in ungezieferverseuchten Wohnungen drängten, oft Dutzende in einem Raum, mehr tot als lebendig. Selbst in seiner kurzen Zeit in den Abwasserkanälen, den Hallen, wie sie sie nannten, hatte Bartellus nicht so viel Elend gesehen wie in den Armenhäusern von Lindo.
Zwischen den Elendsquartieren und Mietskasernen drängten sich die qualmenden Schuppen und Hütten derjenigen Armen, die arbeiteten, die versuchten, ihrem Handwerk nachzugehen, obwohl sie nur selten an Material kommen konnten. Dort wohnten auch die Bediensteten und Arbeiter aus den Häusern der Reichen im wohlhabenden Otaro und Gervain. Das Durcheinander aus ärmlichen Hütten, die aus Holz, Blech, Pappe und Müll errichtet worden waren, veränderte sich ständig, wie auch das Labyrinth der Gassen dazwischen. Es war leicht, sich in den Tiefen dieses Gewirrs zu verlaufen, und vorsichtige Leute begaben sich nicht einmal in seine Nähe.
Durch die verheerende Flut vor zwei Monaten war das ganze Viertel allerdings gesäubert worden, und viele dieser zusammengeschusterten Hütten waren verschwunden. Bartellus hatte den Sturm mit Emly und Frayling im Haus des Glases ausgesessen. Er hatte gesehen, wie sie davongespült wurden und gedacht, sie wären für immer verschwunden. Doch schon nach wenigen Tagen waren die überlebenden Bewohner zurückgekehrt und hatten sich daran gemacht, alles neu aufzubauen.
Seit der großen Flut und der Vernichtung der Maritimen war die Situation der Cité bedrohlicher geworden. Die Nachschubwege wurden ständig unterbrochen, und Lebensmittel wurden knapp. Immer weniger Bürger konnten durch ehrliche Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen. Die Kriminalität blühte. Die armen Leute von Lindo mussten stehlen, um ihre Kinder und sich selbst zu ernähren. Vor vier Jahren war es riskant gewesen, nachts hier herumzulaufen. Jetzt war es sogar am helllichten Tag gefährlich, und Bartellus verließ das Haus nur bewaffnet. Unter seinem alten Militärmantel, den er sich über die Schultern warf, um die Arme freizubehalten, trug er ein Langmesser. Er sorgte dafür, dass es stets rasiermesserscharf geschliffen war, und trug es in einer festen Lederscheide. Er hatte es schon mehrfach benötigt, und seine Hand lag auf dem Griff der Waffe, als er über die Blauenten-Allee ging.
Er überquerte die Grenzstraße, die Hauptverkehrsader, die nach Norden aus der Cité hinausführte und die zudem die Grenze zwischen Lindo und dem Nachbarviertel Burman Fehrn markierte. Der Geruch der Gerbereien und Schlachthöfe, den er in der Nase gehabt hatte, seit er aus der Haustür getreten war, wurde schwächer. Hier in Burman herrschten Märkte, Bäckereien und Getreidehändler vor, und auf den Straßen patrouillierte Miliz, die von den Mächtigen bezahlt wurde, damit sie tagsüber unbelästigt hier flanieren konnten.
Bartellus überquerte den
Weitere Kostenlose Bücher