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Der Monat vor dem Mord

Der Monat vor dem Mord

Titel: Der Monat vor dem Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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unübersehbar, dass es eine recht traurige Art von Frühlokal war, in dem die erfolglosen Huren das Strandgut aus dem verölten Tümpel der Nacht herauszuziehen versuchten. Und es blieb ihnen auch nicht erspart, gefragt zu werden. »Habt ihr noch Lust und Geld? Eine Nummer?« Aber immerhin konnten sie in Ruhe etwas essen und sich genüsslich ausmalen, wie der Chef auf ihre Arbeit reagieren würde.
    Horstmann sagte Ocker natürlich nicht, dass er daraus Kapital schlagen wollte. Er präparierte Ocker sehr geschickt. Er sagte: »Wir werden nicht nach Hause fahren, uns umziehen und frischgekämmt wie Konfirmanden aufkreuzen. Wir werden so kommen, wie wir sind. Ein bisschen übelriechend und so weiter. Er soll sehen, dass wir die ganze Nacht durchgearbeitet haben. Das macht mehr Eindruck. Und wir werden uns auch nicht anbiedern, wir werden in den Sesseln vor seinem Schreibtisch hocken wie ein vollkommen kaputter Bauarbeitertrupp. Und verbeug’ dich nicht bei jedem Wort, das er sagt.«
    »Das ist nicht schlecht«, sagte Ocker. »Das hätte ich von dir nicht gedacht, dass du mit solchen Tricks arbeitest.«
    »Es fiel mir nur so ein«, sagte Horstmann glaubwürdig belanglos.
    Sie fuhren ins Werk zurück, und sie erregten einiges Aufsehen, denn sie verströmten eine sehr intensive Wolke von Alkohol, hatten die Knoten ihrer Krawatten vollkommen los-gezerrt und tiefe Ringe unter den Augen.
    »Ich rufe dich, wenn es soweit ist«, sagte Horstmann. Er schloss die Tür seines Labors hinter sich und trank aus der Flasche mit dem Anisschnaps einen Schluck. Er fühlte sich zerschlagen, er hatte zu viel geraucht und zu viel gearbeitet, und er dachte, dass diese Art von Arbeit irgendwann einmal zu einem Herzinfarkt führen müsse.
    Er hatte sehr viel über Herzinfarkt gehört. Einige hatten behauptet, er beginne mit einem Schmerz, der sehr gewaltig sei und so ähnliche Eindrücke hervorrufe, als versuche man, mit einem Korkenzieher das Herz herauszuholen. Natürlich ohne irgendeine Betäubung. Andere wieder hatte es im Bett erwischt. Die meisten aber hatten plötzlich auf die Toilette gemusst, wie vor einem explosiven Durchfall. Und auf dieser widerlichen Porzellanschüssel hatte dann der Schmerz begonnen. Die meisten hatten noch irgendetwas brüllen können, so dass irgend jemand aufmerksam geworden war. Horstmann fragte sich, wie viele nicht mehr hatten brüllen können.
    Er saß ganz still und legte eine Hand auf sein Herz. Er fand beruhigt, dass es stark und gleichmäßig schlage, also brauchte er sich keine Gedanken zu machen. Der Betriebsarzt hatte übrigens erklärt, er, Horstmann, habe ein Herz wie ein Bulle. Trotzdem gab es diese scheußlichen Momente, in denen er glaubte, irgendetwas in ihm müsse zerreißen. Und die Angst vor diesem Riss, so dachte er, ist wohl viel schlimmer als der Riss selbst.

6. Kapitel
    Horstmann nahm einen Schluck aus der Flasche. In dem Frühlokal hatte er nur zwei Gläser Bier getrunken, er konnte sich also auf diese Weise etwas Ruhe holen, ohne Gefahr zu laufen, betrunken zu sein.
    Er dachte wieder an die Prostituierte, eine fette Frau, deren Alter nicht zu schätzen war, und die sie gebeten hatte, bis zum Bahnhof mitfahren zu dürfen. »Wenn ihr Jungs schon nichts für den Körper wollt«, hatte sie gesagt, »könnt ihr mir wenigstens den Gefallen tun.«
    »Wie teuer ist denn so dein Unterleib«, hatte Ocker gefragt. Die Frau wirkte so abstoßend, dass selbst Ocker keine schmutzigen Witze machen konnte. Horstmann dachte, dass Maria ein wenig von dieser Frau haben müsse, um in Ordnung zu sein. Aber sie würde es nie haben, und also war es nutzlos, diesen Gedanken zu analysieren oder fortzusetzen.
    Die toten Schädlinge lagen um den Kiefernzweig herum. Erfolg sieht so leicht aus, dachte Horstmann, aber jetzt wird es erst beginnen. Jetzt kommen die endlosen Pflanzenversuche, die mit den Ratten, den Mäusen, den Affen. Vielleicht wird man kanadisches Wild heranschaffen müssen. Er nahm einen der Fresser und legte ihn auf einen Objektträger unter das Mikroskop. Die Zelle war vollkommen verschwunden.
    Er rief den Praktikanten Bachmann an und sagte: »Ich brauche noch einen Klumpen Würmer.« Dann hockte er sich auf den Schemel und starrte hinaus auf die Straße, bis Bachmannn mit einer Glasschale kam und grinsend sagte: »Hier ist eine Portion zu fünfzig.«
    »Gut«, sagte Horstmann. Er wartete, dass Bachmann die toten Tiere sähe, aber der Junge sah nur in die Glasschale.Schließlich setzte

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