Der Mond im See
warten.
Ich tat, was man immer tut, wenn man nicht weiter weiß. Ich nahm mir eine Zigarette. Ohne die Damen um Erlaubnis zu fragen.
»Gib mir auch eine«, sagte Madame de Latour mit rauher Stimme.
Die Großmama, die wie ein Häufchen Elend in ihrem Sessel hockte, wagte ich schon gar nicht anzusehen. Und dabei klagte sie sich noch an. »Ich hab' da unten gelegen im Garten und geschlafen. Und dann habe ich noch Tee getrunken. Wäre ich doch gleich hinaufgegangen. Wäre ich doch gleich oben geblieben. Hätte ich doch …«
Madame Hélène und ich gingen anschließend hinunter in die Bar. Wir saßen allein da, Jonny war nicht da, aber irgendeiner mußte ihm gesagt haben, daß wir bei ihm gelandet waren, denn er stellte sich kurz darauf ein und servierte uns schweigend zwei starke Schnäpse. Wir saßen allein in einer Ecke und unterhielten uns flüsternd. Ja, wir flüsterten. Man traute keinem mehr. Wußte man denn, ob der schwarzhaarige Jonny mit den blitzenden Zähnen nicht zu den Gangstern gehörte?
»Nein«, sagte Madame Hélène und schüttelte energisch den Kopf. »Das glaube ich nicht. Ein bißchen kann ich mich schon auf meine Menschenkenntnis verlassen. Er ist den zweiten Sommer jetzt bei mir. Nein, der bestimmt nicht.«
»Und die Kellner? Kennen Sie denn alle?«
»Natürlich nicht. Nur der Oberkellner und der alte Luigi sind schon länger hier. Die anderen sind alle neu.«
Ich starrte durch die Fensterscheibe hinaus auf die Terrasse, die heute leer war. Ja, das habe ich ganz vergessen zu erzählen, daß diesmal das Gewitter nachhaltig für Abkühlung und trüben Himmel gesorgt hatte. Es war der erste graue und trübe Tag, seitdem ich hier war. Und das schien mir ganz passend.
Plötzlich steckte Kriminalrat Baumer seinen Kopf zur Tür herein.
»Aha«, sagte er. »Ich habe Sie schon gesucht.«
Er setzte sich zu uns und wir sprachen über Renate, über ihre Weigerung, der Polizei irgendwelche Auskünfte zu geben.
»Von ihrem Standpunkt aus verständlich«, meinte Baumer. »Ich halt es auch für richtig, daß sie niemals sichtbar mit der Polizei in Verbindung tritt.«
»Lieber Himmel«, sagte Madame Hélène energisch. »Diese Verbrecher können doch nicht so dumm sein, anzunehmen, daß man die Polizei in so einem Fall wirklich ausschalten kann.«
»Verbrecher sind meistens dumm, gnädige Frau«, meinte er. »Sonst wären sie keine Verbrecher. Das ist ja das große Plus, das wir, ich meine die Polizei, in unserem Kampf gegen das Verbrechen haben. Abgesehen von Affektverbrechen, die ja aber meist am leichtesten aufzuklären sind, kann man getrost in jede Ermittlung die Dummheit des Verbrechers als für uns günstigen Faktor einsetzen. Auch wenn der Täter noch so raffiniert ist. Irgendwo arbeitet sein Kopf nicht richtig. Sonst würde er kein Verbrechen begehen.«
»Raffiniert genug sind die hier gerade vorgegangen«, meinte Madame Hélène bitter.
»Das kann ich nicht finden«, widersprach der Kriminalrat. »Ich bin der Meinung, daß man ihnen sehr leicht auf die Schliche kommen wird. Der Vorteil jener Leute ist nur, daß sie einen lebenden Menschen als Geisel haben, das bindet uns weitgehend die Hände. Aber ich denke, daß wir bald Bescheid wissen werden, wie sich das Ganze zusammensetzt.«
»Wie meinen Sie das?« fragte ich interessiert.
»Nun, wir kennen schon mal zwei der Verbrecher. Vermutlich sogar drei, wenn wir den Toten aus ihrem Kämmerchen hinzuzählen. Ein Mann, der getötet wurde, weil er vor der Durchführung eines geplanten Verbrechens zurückschreckte. Herr Bondy alias Camalescu hat sich übernommen. Er war nur ein kleiner Gangster, ein bißchen Betrug und Schwarzhandel, ein paar Fälschungen und Unterschlagungen – das brachte er auf die Beine. Mehr nicht. Er hätte sich kennen sollen. Dann wäre er noch am Leben. Immerhin wissen wir durch ihn, daß wir es mit Leuten zu tun haben, die vor einem Mord nicht zurückschrecken. Darum müssen wir sehr vorsichtig sein.«
Ich blickte über meine Schulter. Jonny hatte seinen Platz hinter der Bar verlassen und stand nicht weit von uns entfernt und hörte aufmerksam zu. Kriminalrat Baumer sprach keineswegs besonders leise. War es Absicht? Oder hielt er, genau wie Madame de Latour, den Mixer für unverdächtig?
»Wir wissen immerhin alles über den Ermordeten, was wir wissen müssen. Und was noch fehlt, wird bald dazukommen. Zum Beispiel, wo er in den vergangenen drei Jahren war und mit wem er Umgang hatte. Es war nur eine Routinesache,
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