Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)

in dieser Zeit der erzwungenen Unachtsamkeit keine weiteren gefährlichen Tiere behelligt hatten.
    Frederik war Elina nicht gerade sympathisch gewesen. Warum bin dann ich jetzt die Einzige, die um ihn weint? Warum traut sich keiner, wenigstens auszusprechen, dass er nicht mehr hier auf dem Stamm sitzt, dass er irgendwann, als es keiner gesehen hat, fortgeschwemmt wurde.
    Traurig begann sie erst leise, dann mit erwachendem Trotz immer lauter ein melancholisches Lied zu singen, das sie einmal im Radio gehört hatte und nicht mehr vergessen konnte.
    „Na toll, jetzt habe ich euch gerade gefunden und da fängst du an, zu singen. Na ja, besser jetzt als nie!“ Diese Stimme gehörte eindeutig zu Verena.
    Doch die schleimig schlammbraune Gestalt in den zerfetzten moosbedeckten Lumpen, die die Worte ausgesprochen hatte, erinnerte gar nicht an sie.
     
    *
    Erik konnte nach der Erkenntnis, dass sie in Wahrheit in der Antarktis abgestürzt waren, nicht einfach wieder einschlafen. Ich hätte nicht so viel von dem Champagner trinken sollen, jetzt kann ich nicht mehr klar denken. Wir sind also von Argentinien losgeflogen, waren mehrere Tage in Flugzeugen unterwegs, weil wir was einigermaßen Direktes nicht bezahlen konnten. Und dann, wir waren fast in München gelandet und ich hätte nur noch ein bis zwei Tage gebraucht, um nach Hause, nach Kassel, zu trampen, stürzt unsere Maschine nicht etwa in den Alpen ab, sondern beim Südpol. Wie verrückt diese Phänomene sind, von denen seit Jahren berichtet wird, merkt man erst, wenn man in eins reingeraten ist.
    Erik war allerdings nicht so betrunken, dass er nicht mehr in der Lage gewesen wäre, seine Gedanken auf das eigentliche Problem zu richten. Was bedeutet das, in der Antarktis abgestürzt? Die Antarktis besteht nicht nur aus dem Südpol. Wir könnten in der Nähe von der nächsten Küste sein. Vielleicht kann der Kapitän dazu irgendwas ausarbeiten, der ist schließlich der Navigator und Katja leitet unsere unfreiwillige Polarexpedition. Das ist, glaube ich, das Wichtigste. So haben wir eine kleine Chance es zu schaffen.
    Ich bin wirklich gut darin, Dinge zusammenzubasteln. Aber diese ganzen Entscheidungen, was wann zu machen ist, ob wir aufbrechen oder nicht, … so was kann nur Katja. Na ja, Lena scheint auch ganz gut damit klarzukommen, aber ich wäre überfordert. Vor allem wenn die Anderen überzeugen sollte, dass meine Entscheidungen richtig sind.
     
    Erik hatte seit dem Absturz immer wieder Probleme gehabt, seine Ausrüstungspläne Katja zu vermitteln. Er war zu Recht froh, dass er nur die kluge, geduldige Katja überzeugen musste, die nicht dazu neigte, etwas abzulehnen, nur weil sie es nicht gleich verstand. Noch schwerer wäre es ihm gefallen, mit Lena allein umzugehen. Sie war zwar eine gute Freundin, konnte aber auch schon einmal ungeduldig und dann unfreundlich werden. Außerdem sagte sie unpräzise Dinge wie: „Es wäre gut, wenn wir die Pilchers gelegentlich mal auf die Schlitten setzen könnten.“
    Hätte Katja das unkommentiert gelassen, hätte er nicht kapiert, was das für ihn bedeutete. „Die Pilchers bekommen kleine Schlitten mit maximal 25 Kilo Gesamtlast zu ziehen. Zwei von den Übrigen müssen verstärkt werden, damit sie die 70 Kilo von Herrn und Frau Pilcher zusätzlich tragen können, auch wenn sie dadurch schwerer werden sollten als geplant. Stell sicher, dass die Schlitten mit dieser Last zumindest auf ebener Fläche noch beweglich sind.“ - Das war eine Sprache, die er verstand.
    Die Ausrüstung herzustellen, ging ihm dagegen relativ leicht von der Hand. In dem Flugzeugwrack gab es eine wunderbare Vielzahl von hervorragenden Werkstoffen. Wäre die Situation nicht so bedrohlich gewesen, hätte Erik in vollen Zügen genossen, endlich einmal mit allem, das ihm in die Finger kam, herumbasteln zu können. Er musste sich keine Gedanken um den Preis machen, oder dass jemand es ablehnen könnte, dass sein Reisekoffer als Rohstoff für ein paar Lastschlitten verwendet wurde. Okay. Die Kocher, die ich entworfen habe, sind genial und robust genug, auch wenn wir länger unterwegs sind. Die Schneeschuhe, Wanderstöcke und Steigeisen sind aber zu improvisiert. Nach drei Tagen sind die unter Umständen im Eimer. Die Schlitten seh´ ich mir lieber noch mal genauer an.
    Erik stand auf und machte sich allein an die Arbeit. Ohne das ganze Gekräusel um ihn herum konnte er viel konzentrierter vorgehen, jedenfalls, nachdem die Wirkung des vielen Champagners