Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)
nicht standhalten wird.«
Calvin lümmelte sich auf seinem Stuhl. Er hatte diese Rede schon Dutzende Male gehört, kannte jede Nuance auswendig. Er hatte sogar die unbewusste Angewohnheit angenommen, lautlos mitzusprechen.
Sharon stieß ihn unter dem Tisch mit dem Ellbogen an. Sie unterhielten sich mit einer Reihe rascher Blicke. Es war keine Telepathie. Sie hatten den Austausch nur schon so oft gehabt, dass es nicht nötig war, es laut auszusprechen.
Hör auf damit! , sagte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue.
Interessiert doch keinen , antwortete er mit finsterem Blick.
Sie schürzte die Lippen, nickte in Richtung Publikum. Wir sitzen vor Leuten. Setz dich aufrecht hin und versuch, nicht auszusehen, als würdest du vor Langeweile sterben.
Aber ich sterbe vor Langeweile!
Sharons Gesicht wurde ausdruckslos. Er hasste das. Und er hasste, dass sie recht hatte. Greg verlangte nicht viel, und im Gegenzug gab er Calvin einen hübschen Platz zum Wohnen, Geld und Sharon, damit sie sich um die kleinen Ärgernisse des Lebens kümmerte. Calvin brauchte das alles zwar nicht, aber wenn er schon in dieser Welt festsaß, machte es ihm das Leben auf jeden Fall leichter. Er hatte das finstere Mittelalter in einer Höhle versteckt verbracht. Die Zeit hatte sich hingezogen wie Sirup. Videospiele, Filme, Bücher und andere Zerstreuungen halfen zumindest, die Zeit zu vertreiben.
Er setzte sich aufrecht hin. Lächelnd rückte er seinen Kragen zurecht.
»Das Ende ist nahe«, sagte Greg. »Es kommt früher, als alle glauben. Aber es ist kein Ende. In Wirklichkeit ist es ein Anfang, und jeder von euch hier hat die Chance, ein Teil davon zu sein.«
Er sprang zehn Meter durch den Raum und landete mit lautloser, katzenhafter Anmut auf einem Tisch. Das Publikum schnappte nach Luft, und vereinzelt brandete Applaus im Bankettsaal auf.
»Nein, bitte, bitte.« Er wischte den Applaus mit einer Handbewegung beiseite. »Was ich eben getan habe, ist nichts Besonderes. Ich habe lediglich das Potenzial in mir erschlossen, das Potenzial, das wir alle in uns haben. In der neuen Welt wird Kraft, wahre körperliche Kraft, entscheiden, wo ihr steht und mit wem.«
Er vollführte einen Salto rückwärts und landete auf den Händen. Dann verlagerte er das Gewicht und balancierte auf einer Hand.
»Ihr seid hier, weil wir glauben, dass ihr einen Platz unter uns habt, denn wenn die Zeit kommt, werden wir die neue Macht sein, die in das neue Zeitalter führt. Wir werden vorbereitet sein. Und ihr werdet mit uns zusammen darauf vorbereitet sein.«
Greg stieg vom Tisch. Er lockerte seine Krawatte und schritt mit langsamer, müheloser Anmut zurück nach vorn. Sein Gang strahlte einen Hauch Selbstsicherheit aus. Scheinbar spontan hielt er inne und berührte einen alten Mann an der Schulter.
»Kommen Sie mit mir, Mr Francis. Ich möchte etwas Wundervolles mit Ihnen teilen.«
Greg führte Francis in den vorderen Teil des Raums.
»Wollen Sie sich besser fühlen als seit Jahren? Besser als in Ihrem ganzen Leben sogar?«
Er zögerte gerade lange genug, um Francis die Chance zu einer Antwort zu geben, unterbrach ihn dann aber, gerade als dieser den Mund aufmachte.
»Natürlich wollen Sie. Das wollen wir alle. In Ihren Knochen liegt ein Geheimnis verborgen, und es ist ein Geheimnis, das wir jetzt befreien werden.«
Er nickte Calvin zu.
»Das ist mein Stichwort«, murmelte Calvin und schob den Stuhl zurück.
Sharon blinzelte. »Hau sie um!«
»Mr Francis, ich möchte Ihnen eine ganz besondere Person vorstellen«, sagte Greg. »Lassen Sie sich nicht von seinem Äußeren täuschen. Unser Freund Calvin ist nichts Geringeres als ein Gott, und allein seine Berührung wird die glorreiche Zukunft offenbaren, die auf uns alle, die wir hier sitzen, schon wartet.«
Calvin zwang sich zu einem Lächeln. Nicht zu breit. Man erwartete von ihm, dass er unergründlich war, eine geheimnisvolle Macht. Er streckte die Hand aus. Francis nahm sie. Eine Entladung ging von Calvin auf den grauhaarigen Mann über. Francis brach zuckend auf der Bühne zusammen. Die Menge schnappte nach Luft.
Das sollte nicht passieren.
Greg ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Entspannt euch, Freunde. Das ist vollkommen normal. Schwäche verlässt den Körper widerwillig, aber in einem Augenblick werdet ihr alle eine wunderbare Verwandlung an Mr Francis erkennen.«
Er warf Calvin einen Blick zu. Der zuckte die Achseln.
Greg half Francis auf die Beine. »Können wir ein
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