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Der Mondscheingarten

Der Mondscheingarten

Titel: Der Mondscheingarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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stand, dachte sie sich kurzerhand eine Antwort aus – und sagte sich dann, dass sie am nächsten Tag wiederkommen würde.
    An diesem Tag hatte sie wieder Musikunterricht bei Miss Hadeland. Helen nannte sie Miss, obwohl sie eigentlich Holländerin war, aber die holländische Bezeichnung für Fräulein wollte ihr nicht so richtig über die Zunge.
    Miss Hadeland schien damit zufrieden zu sein, solange Helen fleißig am Klavier übte.
    Doch besonders in letzter Zeit war sie ein wenig unzufrieden mit ihr. Einmal hatte Helen sie dabei belauscht, wie sie zu ihrer Mutter sagte: »Es scheint, als würde sie keine Fortschritte machen. Das Kind spielt, als würde es ihm keinen Spaß machen.«
    »Vielleicht ist das der Fall«, hatte ihre Mutter entgegnet. »Wie wäre es, wenn sie es mit einem anderen Instrument versuchte?«
    »Das Klavier ist eines der einfachsten Instrumente überhaupt für Damen! Wenn sie das nicht beherrscht, wie will sie dann ein anderes Instrument erlernen?«
    »Lassen Sie ihr ein wenig Zeit, sie ist ja erst acht Jahre alt. Ihre Hände wachsen noch, sie wird die Griffe besser beherrschen, wenn sie ein wenig älter ist.«
    »Mozart war erst sechs, als er schon ganze Sonaten spielen konnte!«
    »Unsere Helen ist doch kein Wunderkind und soll es auch nicht werden. Ich möchte lediglich, dass sie ein gutes musikalisches Gehör und Freude am Spielen bekommt. Haben Sie ein wenig Nachsehen mit ihr.«
    Doch Miss Hadeland hatte kein Nachsehen mit ihr. Als sei sie besessen davon, sie zu einem Wunderkind wie diesem Mozart zu machen, von dem Helen Stücke spielen sollte, trieb sie ihre Schülerin immer mehr an. Wieder hagelte es Stockschläge auf ihre Hand, einmal so schlimm, dass Helen weinend zu ihrer Mutter gelaufen war.
    Diese hatte die Lehrerin zur Rede gestellt, und seitdem schlug sie nicht mehr so fest und so häufig zu, aber sie traktierte Helen mit Worten.
    So auch an diesem bestimmten Tag.
    »Nicht einmal ein Kamel würde so plump über die Tastatur laufen, wie es deine Finger tun!«, schimpfte sie, während sie mit klackernden Absätzen vor Helen auf und ab ging. »Das mit anhören zu müssen, straft meine Ohren. Los, spiel die Passage noch mal!«
    Helen, die es bereits satthatte, das Stück zu spielen, und außerdem vollkommen verunsichert war, setzte die Finger an und begann die verhasste Passage erneut zu spielen. Diesmal sogar besser als zuvor, wie sie fand.
    Da passierte es! Die Gerte zischte über ihre Finger, schneller, als Helen es mitbekommen konnte. Erschrocken zog sie die Hand zurück, ein grausiger Misston hallte durch das Zimmer.
    Diesmal reichte es Helen! Sie sprang auf, stampfte mit dem Fuß auf und schrie: »Ich spiel nicht mehr!« Dann, bevor Miss Hadelands Zorn sie erreichen konnte, rannte sie nach draußen.
    Panisch donnerte ihr Herz gegen ihre Brust. Mit einem Ohr lauschte sie hinter sich, in der Annahme, dass die Klavierlehrerin ihr folgen würde. Noch hörte sie nichts, aber vielleicht brauchte Miss Hadeland auch ein Weilchen, um sich von ihrer Überraschung zu erholen.
    Voller Zorn und auch mit ein wenig Angst lief Helen wieder zum Gebüsch, an dem sie täglich auf die Frau wartete. In diesem Augenblick dachte sie aber nicht daran, sie wünschte ihrer Klavierlehrerin nur alle möglichen Krankheiten an den Hals, wie die Beulenpest zum Beispiel, von der Antje ihr erzählt hatte.
    Als sie den Busch mit den leuchtenden Blüten erreicht hatte, stockte Helen plötzlich.
    Wie ein Geist war vor ihr die fremde Frau aufgetaucht. Ganz ruhig, wie von einem Zauber, der sie zu Stein werden ließ, stand sie neben dem Zaunpfosten. Als sie Helen sah, erschien ein Lächeln auf ihren Zügen.
    »Da bist du ja wieder!«, sagte sie sanft.
    Schlagartig vergaß Helen den Schmerz auf ihrer Hand. All die Tage hatte sie gewartet, und nun, an einem Tag, an dem Miss Hadeland wieder so richtig blöd war, kam die Fremde wie eine gute Fee zu ihr, die sie für das, was passiert war, trösten wollte! Sogleich trat Helen dichter ans Gitter. Die Frau streckte ihre Hand aus, die sich angenehm kühl auf ihren zornesroten Wangen anfühlte. Und da sah Helen, dass sie in der anderen Hand einen länglichen Koffer hielt.
    »Ich bin jeden Tag hergekommen und hab gehofft, dass Sie wiederkommen würden«, gestand Helen und schaffte es nur schwerlich, ihre Freudentränen zurückzuhalten.
    »Entschuldige bitte, dass ich dich habe warten lassen, mir… mir ging es nicht so gut«, entgegnete sie. »Außerdem musste ich noch etwas

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