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Der Mondscheingarten

Der Mondscheingarten

Titel: Der Mondscheingarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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erledigen. Aber jetzt bin ich hier und habe dir das Geschenk mitgebracht.«
    Die Frau schob den schwarzen Koffer zwischen den Gitterstäben hindurch.
    »Was ist da drin?«, fragte das Mädchen fasziniert.
    »Etwas ganz Besonderes. Eine Geige.«
    Die Augen des Mädchens weiteten sich. »Eine Geige? Für mich?«
    »Ja, wenn du möchtest, ist es deine Geige. Allerdings solltest du sie dann auch spielen lernen. Wie ich gehört habe, lernst du Klavier.«
    »Woher weißt du das?«, fragte das Mädchen, worauf die Frau milde lächelte.
    »Ich weiß vieles über dich, Helen. Und deshalb schenke ich dir die Geige. Sie war früher einmal meine, aber jetzt kann ich sie nicht mehr spielen.«
    »Warum? Hast du das verlernt?« Auch wenn Helen den Musikunterricht nicht besonders mochte, hätte sie doch nie eine der Bewegungen vergessen können, die Miss Hadeland ihr beigebracht hatte.
    »Nein, es gibt einen anderen Grund dafür.« Kurz musterte die Frau das Mädchen, dann fragte sie: »Du hast doch ein starkes Herz, oder?«
    »Natürlich habe ich das!«, behauptete Helen, ohne recht zu wissen, wie man die Kraft eines Herzens messen sollte. Aber wenn es danach ging, wie schnell es schlagen konnte, dann hatte sie in diesem Augenblick das stärkste Herz der Welt.
    »Gut, dann wirst du die Geige sehr lange spielen können.«
    »Aber woher lerne ich, wie man sie spielt? Kannst du es mir zeigen?«
    »Was ist mit der Frau, die dir das Klavierspiel beibringt?«
    »Die mag keine Geigen«, antwortete Helen. »Ich weiß nicht mal, ob sie eine spielen kann, denn sie klimpert immer nur auf unserem Klavier rum und haut mir mit einem Stock auf die Finger, wenn ich es nicht richtig mache.«
    »Sie schlägt dich?«, fragte die Frau erschrocken.
    »Nur dann, wenn ich etwas falsch mache. Das mache ich nicht oft.«
    Die Frau presste die Lippen zusammen, griff dann durch das Gitter nach der Hand des Mädchens und betrachtete die Striemen. Dann streichelte sie ganz vorsichtig über den Handrücken. Wieder schien es, als würden Tränen in ihren Augenwinkeln glitzern.
    »Sie hat kein Recht, dich zu schlagen! Sag das am besten deiner Mutter, wenn es wieder passiert. Sie darf dich rügen, wenn du was falsch machst, aber auf keinen Fall schlagen.«
    »Das ist aber gar nicht so schlimm«, wiegelte Helen ab, denn sie spürte, dass sich die fremde Frau ernsthaft Sorgen um sie machte. »Es zwiebelt ein bisschen, aber ich kann weiterspielen. Und im Stillen nenne ich sie eine blöde Kuh.«
    Die Frau lachte kurz auf – oder schluchzte sie? Helen konnte das nicht genau erkennen.
    »Außerdem hab ich Mama das schon gesagt, und sie hat mit ihr geredet. Und heute bin ich ihr einfach weggelaufen.«
    »Pass gut auf deine Hände auf, ja?«, sagte die Frau nun, während sie Helens Hand ganz fest hielt. »Und versprich mir bitte etwas.«
    Helen nickte eifrig. Für so ein Geschenk hätte sie beinahe alles versprochen, besonders der fremden Frau.
    »Versprich mir, dass du eines Tages eine ganz wunderbare Musikerin wirst. Eine Geigerin, ja? Vorausgesetzt, du kommst mit dem Instrument zurecht.«
    »Das verspreche ich«, gab Helen zurück, doch dann sah sie ein, dass das vielleicht ein wenig voreilig war. »Aber erst einmal muss ich lernen, die Geige zu spielen!«
    Die Frau blickte an ihr vorbei zum Haus. Kam da etwa schon wieder jemand? Als Helen sich umsah, sah sie nichts.
    »Ich kann dir ein bisschen beibringen, wie man sie spielt. Aber dazu brauchen wir einen Ort, an dem uns weder die Menschen auf der Straße noch deine Mutter oder deine ­Musiklehrerin sehen können. Ich werde dir zeigen, wie du sie halten musst, und dir den Ton vorsingen, den das Instrument machen würde. Meinst du, dass du auf diese Weise lernen kannst?«
    »Aber wie soll ich dann spielen üben?«, fragte Helen verwundert, die von solch einer Art Übung noch nie etwas gehört hatte.
    Die Frau blickte wieder zum Haus, diesmal aber nicht, um zu überprüfen, ob sich jemand näherte.
    »Das Haus, in dem du wohnst, ist recht groß, vielleicht findest du eine Kammer. Außerdem wird deine Mutter sicher irgendwann am Tag zu Besorgungen aufbrechen, nicht wahr?«
    »Ja, das tut sie, immer am Nachmittag für zwei oder drei Stunden. Da könntest du sogar reinkommen.«
    Die Frau schüttelte den Kopf. »Nein, das kann ich nicht. Wenn deine Mutter mich sieht, wäre es ihr bestimmt nicht recht, dass ich da bin. Außerdem soll das hier doch unser Geheimnis sein, nicht wahr? Magst du Geheimnisse?«
    Helen nickte. Ja,

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