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Der Mondscheingarten

Der Mondscheingarten

Titel: Der Mondscheingarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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durch die Besucherinnen. »Ivy, was …«, begann eine der Frauen, die ihre Mutter etwas besser kannten.
    Doch bevor sie eine Antwort erhalten konnte, setzte Helen die Geige unter ihr Kinn und begann zu spielen – so, wie sie die Töne herausgefunden hatte, wie sie meinte, dass sie am besten klangen. Sie spielte ein altes Lied, das ihre Mutter ihr manchmal vorgesungen hatte, als sie noch sehr klein gewesen war. Die Melodie war sehr einfach, doch sie war hübsch, und Helen hätte sie viel öfter auf dem Klavier spielen wollen, doch das hatte ihr Miss Hadeland nicht erlaubt.
    Als sie mit ihrem Vortrag fertig war, herrschte Stille. Die Töne waren durch das Fenster entwichen, und Helen gefiel der Gedanke, dass sie vielleicht wie Tautropfen zur Erde ­gefallen waren und dort dafür sorgten, dass die Blumen wuchsen.
    Mit ernster Miene packte sie ihre Geige wieder in ihren Koffer und stellte sich dann dem Urteil der Zuhörerinnen.
    Diese waren sprachlos. Am liebsten hätte Helen gefragt, ob Mrs Hendriks dieses Lied gehört hatte, doch all ihren Mut hatte sie schon beim Hinauslaufen und Offenbaren der Geige verbraucht. Jetzt fühlte sie sich, als sei sie ein Stück geschrumpft, weil so viel aus ihr herausgekommen war.
    Nach einer Weile erhob sich Ivy. Ihre Züge waren blass, aber sie wirkte nicht verärgert. Stattdessen glitzerten Tränen in ihren Augen.
    »Das war wunderschön, Helen«, sagte sie dann, als sie vor ihr auf die Knie ging. »Wer hat dir beigebracht, so zu spielen?«
    Helen presste die Lippen aufeinander. Sie hatte nun schon so viel verraten, konnte sie auch von der Frau erzählen? Der Frau, die ihr im Gartenpavillon gezeigt hatte, wie sie die Geige halten musste? Wie sie die Finger auf das Griffbrett legte, um einen bestimmten Ton zu erzeugen? Wie die Frau ihr das stumme Spielen beigebracht hatte, damit sie üben konnte, wenn ihre Mutter im Haus war?
    »Ich hab es mir selbst beigebracht«, sagte sie dann. »Jeden Tag, wenn du nicht da warst, habe ich geübt. Gespielt, laut.«
    »Aber warum hast du es denn heimlich getan?«, wollte die Mutter wissen. »Und woher hast du eigentlich diese schöne Geige?«
    Es war klar gewesen, dass diese Frage kommen würde. Ivy wusste genau, dass auf ihrem Dachboden nicht einfach so eine Geige herumlag. Das Klavier, an dem Helen immer übte, hatte ihrer Mutter gehört, doch die Geige …
    Nein, sie durfte es nicht sagen, sie durfte die Fremde nicht einfach so verraten!
    »Helen, bitte sag es mir«, bat die Mutter mit der sanften Stimme, der sich Helen noch nie hatte widersetzen können.
    Plötzlich begann die Erde zu beben.

23
    Padang 2011
    Am nächsten Morgen fühlte sich Lilly, als würde ihr Kopf in Watte stecken. Dank des WLAN -Anschlusses, den das Hotel anbot, hatte sie Ellen noch am Abend eine kurze Mail geschrieben, dass sie gut angekommen war. Und auch Gabriel hatte sie eine kleine Nachricht geschickt. Antworten hatte sie von beiden nicht erhalten, aber es beruhigte sie, dass die beiden Menschen, die ihr wichtig waren, wussten, dass es ihr gutging.
    Den Ratschlag des Zahnarztes hatte sie befolgen wollen, doch sie war so müde gewesen, dass sie den Wecker zwar gehört, aber ignoriert hatte. Als sie wach geworden war, war es drei Uhr in der Früh. Schlafen konnte sie da nicht mehr, also hatte sie in ihrem Reiseführer gelesen und sich Notizen gemacht, wonach sie suchen wollte.
    In der Einsamkeit des Zimmers wurde sie nachdenklich. Ein einfacher Erholungsurlaub würde das nicht werden, dazu hatte sie zu viel vor, dazu war der Drang, etwas herauszufinden, viel zu groß. Würde es ihr gelingen, Spuren der Geigerinnen zu finden? Und welcher Zusammenhang bestand zwischen der Geige und ihr? Ob die Geige nun aus ihrer eigenen oder Peters Familie stammte, war völlig irrelevant. Außerdem musste sie endlich die Scheu überwinden, in die sie sich seit Peters Tod eingehüllt hatte. Vielleicht würde ihr das nun endlich gelingen, und sie würde wieder Menschen wirklich an sich heranlassen können, jemanden so lieb gewinnen können, ohne Angst vor dessen Verlust zu haben.
    Gabriel, dachte sie und schloss lächelnd die Augen. Vielleicht war er jemand, den sie wieder näher an sich heranlassen würde. Sein Kuss war alles andere als unangenehm gewesen und hatte ihr das Gefühl gegeben, dass er da sein würde, wenn sie zurückkam. Warum sollte sie ihn also auf Distanz halten?
    Außerdem war er ein sehr angenehmer Mann, eine Seele, in die sie gern eintauchen und die sie erforschen

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