Der Mondscheingarten
sie etwas Persönliches verloren hatte.
»Wahrscheinlich ist es ein Nervenfieber«, konstatierte der Arzt, während er Helens Puls fühlte. »Das Herz schlägt kräftig, und ich finde auch keine andere Ursache für eine Erkrankung. Ich lasse Ihnen etwas Fieberpulver da und empfehle Ihnen, kalte Wickel zu machen. Und wenn’s geht, das Verlorene, an dem die Kleine offenbar sehr gehangen hat, wieder zu ersetzen.«
Als der Arzt gegangen war, schritt James Carter im Esszimmer unruhig auf und ab, bis seine Frau endlich wieder unten erschien.
»Wie geht es ihr?«, fragte er, worauf sie den Kopf schüttelte.
»Nicht besser. Ich habe sie einfach nicht wach genug bekommen, um ihr das Fiebermittel zu geben. Auch die Wadenwickel holen sie nicht aus dem Schlaf. Ich werde es nachher aber noch mal versuchen.«
»Verdammtes Weibsbild«, murmelte Carter wütend vor sich hin. »Was ist ihr überhaupt eingefallen?«
»Ich bin sicher, dass die Polizei Miss Hadeland findet.«
»Ich spreche nicht von ihr!«, fuhr ihr Mann sie an. »Du weißt, wen ich meine! Sie hatte kein Recht, das Kind aufzusuchen. Nicht nach alledem. Und dann die Geige! Warum zum Teufel hat sie eigentlich nach Helen gesucht? Und wie konnte sie sie finden? Hat sie vor, sie uns jetzt wieder wegzunehmen? Nach allem, was wir getan haben?«
»Ich glaube nicht, dass sie das tun wird, denn sonst hätte sie gewiss schon irgendwelche Schritte eingeleitet. Und wer weiß, warum sie ihr dieses Geschenk gemacht hat.«
»Sie hat unserer Helen das Versprechen abgenommen, nichts zu sagen. Wer weiß, was sie ihr erzählt hat!«
»Ich glaube nicht, dass sie ihr etwas gesagt hat, das unsere Autorität in Frage stellt, sonst hätte Helen längst in irgendeiner Weise aufbegehrt.«
»Und was soll nun dieses Fieber?«
»Das kommt wohl schwerlich davon, weil Helen sie gesehen hat. Helen liebt diese Geige abgöttisch, sie behandelt sie fast wie einen Menschen.«
»Unnormal ist das!«, brummte Carter ungehalten, doch in seinen Augen schimmerten Tränen der Sorge. »Sie sollte nicht so viel Liebe auf einen Gegenstand verwenden!«
»Weißt du, was Mrs Faraday gesagt hat?«, fragte Ivy daraufhin, ohne ihm recht zu geben oder seine Behauptung abzustreiten. »Sie wäre genau wie sie. Sie hätte dasselbe Talent. Es wäre ein Jammer, wenn dieses vergeudet würde, wenn schon …«
»Ich bin mir nicht sicher, Ivy«, sagte James, jetzt wieder ein wenig ruhiger. »Wenn wir sie vor diesem ganzen Rummel bewahren, wenn wir ihre Förderung nicht weiter vorantreiben, ersparen wir ihr vielleicht so einiges.«
»Aber wir betrügen die Welt um etwas Großartiges, wenn wir es nicht tun. Mrs Faraday mag vielleicht eine hartherzige Frau sein, aber ich hatte den Eindruck, dass sie ganz genau weiß, was sie tut.«
»Du meinst also, wir sollten sie nach England bringen.« Ivy konnte den unausgesprochenen Gedanken hinter diesen Worten erahnen. Wenn sie nach England reiste, könnte sie nicht mehr von dieser … Frau aufgesucht werden.
»Ich könnte fürs Erste mit ihr reisen«, schlug sie also vor. »Ich würde darauf achten, dass sie anständig untergebracht wird und dass es ihr gutgeht.«
»Und was meinst du, wie lange wird es dauern, bis sie die Wahrheit erfährt? Mrs Faradays Vermutung ist so verdammt nahe an der Wahrheit gewesen, wenn sie eins und eins zusammenzählt, könnte sie Helen in tiefe Verwirrung stürzen.«
»Es sind Vermutungen, nichts weiter«, beruhigte Ivy ihren Mann. »Sie wird niemals Beweise dafür finden, Mijnheer van Swieten hat uns sein Ehrenwort gegeben, und das wird er nicht brechen.«
»Ich möchte mein kleines Mädchen nicht verlieren, Ivy«, sagte James, dann zog er seine Frau in seine Arme.
»Das wirst du nicht«, versprach sie ihm. »Unsere Tochter wird eines Tages eine sehr berühmte Frau sein, die ganze Welt wird zu ihr aufblicken. Diese Chance sollten wir ihr nicht verwehren, egal, was in der Vergangenheit vorgefallen ist. Außerdem können wir sie, wenn Helen in England ist, besser davor bewahren, dass sie erneut versucht, mit ihr Kontakt aufzunehmen. »
James überdachte all diese Argumente und nickte schließlich.
»In Ordnung, das ist vielleicht das Beste. Doch vorher sollte ich Helen wohl eine neue Geige beschaffen. Ich befürchte nämlich, dass diese verfluchte Hadeland mit dem Instrument verschwunden ist und es vielleicht schon zu Geld gemacht hat.«
Ivy küsste ihn zärtlich auf den Mund. »Ich bin sicher, dass du ein neues Instrument finden
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