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Der Mondscheingarten

Der Mondscheingarten

Titel: Der Mondscheingarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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Vorhaltungen beginnen würde, dass ich die Tournee nicht einfach so sausen lassen durfte. Er hätte es fertiggebracht, mich selbst kurz vor einer Ohnmacht an einen Pfeiler zu lehnen und mir die Geige in die Hand zu drücken.
    Also suchte ich in Delhi heimlich einen englischen Arzt auf, der mir etwas eröffnete, das mich zutiefst schockierte – und das mir von einem Tag auf den anderen die Fähigkeit nahm, wie früher zu spielen. Es war, als stemmte sich plötzlich etwas in mir gegen die Musik, die mich früher so wunderbar erfüllt hatte.
    Schon bei meinen Übungen für das Konzert merkte ich, dass die Bilder fehlten. Solange ich denken konnte, waren Bilder sehr eng mit meiner Musik verbunden gewesen. Jedes Stück löste neue in mir aus. Wenn ich spielte, war ich von der Schwere der Welt befreit, ja ich glaubte, nicht mal auf der Bühne zu stehen. Aber nun spürte ich nur noch Schwere. Nicht einmal, als ich am Grab meines Vaters gespielt hatte, hatte ich mich so schwer, so unfähig gefühlt.
    Das Fehlen der Bilder, das Fehlen des Hochgefühls ließ meine Hand unsicher werden. Auf einmal fürchtete ich, der Musik nicht mehr gerecht zu werden. Und über allem schwebte Angst. Angst davor, dass ich das, was ich bislang noch verbarg, nicht mehr länger geheim halten könnte. Das machte mich noch unsicherer, und so wurde die Bosheit, die ich an den Tag legte, zu meinem Schild und meiner Waffe, mit der ich begann, die Menschen zu vertreiben.
    Ich erinnere mich noch gut an den Tag, als das Geheimnis sich nicht mehr verbergen ließ. Es war der Tag, an dem ich einsehen musste, dass meine Glut für die Musik am Erlöschen war.
    »Das Konzert war ein Desaster!«, schimpfte Carmichael, während er in meinem Hotelzimmer vor mir auf und ab ging. »Was war nur los mit dir? Du hast gespielt, als sei dein Kopf ganz woanders. Wenn du dir so etwas noch einmal erlaubst, ist deine Karriere ruiniert!«
    Ich antwortete nicht. Am Notenständer vorbei starrte ich ins Leere. Die Erinnerung an das desaströse Konzert hallte wie der Missklang einer gerissenen Saite in mir nach. Wieder und wieder hörte ich die Passage, spürte das Versagen meiner Finger, die Schwäche meiner Bogenhand.
    Ich hatte mich verspielt! Und zwar so gravierend, dass der Schock darüber dem Publikum deutlich anzumerken gewesen war. Nie zuvor war mir dergleichen passiert!
    Und nie zuvor habe ich mich so klein gefühlt. Auf einmal spürte ich alle Gefühle, die ich unter dem Deckmantel meines aufbrausenden Temperaments verborgen hatte: die Trauer um meinen Vater, die Sehnsucht nach meiner Mutter und das alles verzehrende Verlangen nach Paul. Seit unserer sündigen Nacht auf der Plantage hoffte ich jeden Tag auf Nachricht von ihm. Natürlich war das illusorisch, denn wie sollte er mich in Delhi erreichen? Ich hatte in dem Hotel, in dem ich übernachtet hatte, eine Nachricht hinterlassen für den Fall, dass er sich dort melden würde, aber wahrscheinlich war er noch nicht einmal wieder in England.
    Zu meinem Zustand der Unsicherheit gehörte noch etwas anderes. Gehässige Stimmen tauchten in meinem Verstand auf, Stimmen, die mir zuflüsterten, dass er mich nur benutzt hätte, um seine Lust an mir zu stillen, um mich seiner Sammlung an Affären als Trophäe hinzufügen zu können.
    So sehr sie auch auf mich eindrangen, ich weigerte mich, ihnen Glauben zu schenken.
    Konnte der Mann, der so zärtlich meinen Rücken gestreichelt, so leidenschaftlich meine Haut und meine Lippen geküsst hatte, mich tatsächlich belogen haben?
    Nein, das war unmöglich. Paul mochte vielleicht in gesellschaftlichen Zwängen gefangen sein, Paul mochte einer anderen versprochen sein und letztlich nicht die Kraft haben, die Verlobung aufzulösen. Doch ein Lügner war er ganz sicher nicht.
    All das ließ einen merkwürdigen Trotz in mir aufkommen. Während Carmichael seine Tirade fortführte und mir vorhielt, was mir alles blühen würde, wenn ich nicht wieder zur Besinnung kam, holte ich tief Luft und sagte: »Ich bin schwanger.«
    Carmichael sank schockiert gegen den Türrahmen. Nie werde ich seinen Gesichtsausdruck vergessen. Kein Fausthieb hätte ihn so effektiv zum Schweigen bringen können wie diese Worte. »Was sagst du da?«, fragte er verwirrt.
    »Dass ich schwanger bin«, antwortete ich.
    Carmichael stieß ein Geräusch aus, das dem eines Ballons ähnelte, der all seine Luft verlor. »Du lieber Himmel! Das war dieser Engländer, nicht wahr? Ich dreh ihm den Hals um, wenn ich ihn noch mal

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