Der Mondscheingarten
den Broock weiter über die wunderbaren Möglichkeiten des Zuckerverkaufs referierte, fiel Rose auf, dass die hier arbeitenden Frauen ein wenig ängstlich zu ihrem Herrn hinübersahen, dann aber schnell den Blick wieder abwandten. Einige wirkten unter ihren Gewändern ziemlich mager. Sorgte der Plantagenbesitzer nicht gut für sie?
In ihrer Kindheit hatte Rose hin und wieder gehört, dass einige Plantagenbesitzer willkürlich mit ihren Arbeitern verfuhren, sie prügelten und ausbeuteten. In der Stadt hatte man kaum etwas davon gemerkt, natürlich schufteten die einheimischen Männer schwer am Hafen, doch man sah nie, dass sich die Holländer öffentlich schlecht gegenüber ihren Arbeitern verhielten. Ihr Vater sorgte dafür, dass die Leute, die für ihn arbeiteten, genug zu essen hatten und auch ihre Familien durchbringen konnten.
Aber jetzt bekam Rose ein flaues Gefühl im Magen. Immerhin war sie zur Hälfte ebenfalls eine Einheimische, auch wenn man es ihr nicht ansah, und sie schämte sich plötzlich, an der Seite van den Broocks zu stehen und diese Frauen mit den großen, ängstlichen Augen zu betrachten. Nur selten hatte sie sich zuvor Gedanken darüber gemacht, dass die Holländer die Herren dieses Landes waren, denn sie waren schon weit vor ihrer Geburt hier gewesen. Aber in diesem Augenblick empfand sie es als ungerecht, dass der Herr der Plantage diese Frauen für sich schuften ließ – und offenbar nicht mal gut bezahlte, wenn man sich ihre dürren Körper und hohlen Wangen ansah.
Da sah eine der Frauen sie direkt an. Ihre Augen waren dunkel wie der fruchtbare Boden der Plantage, und Rose bemerkte, dass sie eine Narbe auf der Wange hatte. Wahrscheinlich stammte diese von einem Gertenhieb oder einem Schnitt. Hatte van den Broock das getan? Der Blick der Frau brannte sich in ihre Seele ein.
»Miss Warden, kommen Sie?«, schreckte eine Stimme sie aus ihren Gedanken. Ohne dass sie es mitbekommen hatte, waren die Männer bereits an der Tür. Sie sah noch einmal zu der Frau, die sich jetzt aber wieder den Zuckerklumpen zuwandte, dann drehte sie sich mit einem klammen Gefühl in der Magengrube um.
Nach dem Besuch der Schuppen, die von einem süßen Geruch erfüllt waren, wirkte die Luft, die sie draußen erwartete, regelrecht frisch und würzig. Ein leichtes Grollen tönte von den Bergen. Die ganze Zeit über war der Himmel bereits bezogen gewesen, würde nun der Regen kommen? Irgendwie sehnte sich Rose danach, mitten in einem Schauer zu stehen, in der Hoffnung, dass dieser ihre Gedanken klären und ihre Verwirrung abwaschen würde. Doch selbst wenn der Regen kam, würde sie nicht einfach so hinauslaufen und das Wasser mit ausgebreiteten Armen empfangen können. Rose Gallway konnte das vielleicht in einem unbeobachteten Moment tun, aber Maggie Warden würde so etwas sicher nicht mal in Erwägung ziehen.
»Wir sollten uns auf den Rückweg machen, der Regen kommt in dieser Gegend sehr schnell, und wir wollen es der Dame nicht zumuten, dass sie von Kopf bis Fuß durchnässt wird.« Mit diesen Worten stapfte van den Broock voran und führte sie über einen schmalen, beinahe versteckt wirkenden Weg zurück.
Kaum waren sie wieder am Haus angekommen, wurde Rose von ihren Gedanken und der Erinnerung an das Gespräch am Morgen wieder eingeholt. Da sich Paul entschlossen hatte, die Teilhaberschaft an der Plantage zu übernehmen, und van den Broock damit einverstanden war, saßen die beiden mit dem Anwalt zusammen und besprachen alle Details ihres Geschäfts.
Da weder die »Verlobte« noch eine andere Frau bei der Besprechung zugegen sein durfte, setzte sich Rose ans Fenster ihres Zimmers, von dem aus sie auf den Garten blicken konnte. Überraschenderweise gab es hier europäische Obstbäume, die entweder van den Broock oder seine Vorfahren angepflanzt haben mussten. Sie gediehen recht gut, wirkten aber ziemlich fehl am Platz. Eher gehörten sie in einen Garten in England oder Frankreich.
Genauso falsch hatte sich Pauls Frage angefühlt. Seine Frau zu werden, würde ihr vielleicht viele Türen öffnen, aber auch viele verschließen. Über allem stand jedoch, dass sie sich nach ihm sehnte. Sie konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als mit ihm zusammenzuleben. Bisher hatte sie solche Gefühle noch nie einem Mann entgegengebracht. Und sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass ein anderer Mann sie derart einnehmen konnte.
Zwischen ihre Gedanken an Paul mischte sich auch wieder das schlechte Gewissen gegenüber
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