Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist
Es wäre irrsinnig riskant – geradezu idiotisch –, meine Anwesenheit zu verraten, denn die Chancen, dass sie hinter der nächsten Biegung war, standen ebenso gut. Standen die Chancen so gut? Kearns hatte gesagt, sie würde ihre Jungen in den tiefsten Teil der Höhle bringen, und dass ich bisher nicht ab-, sondern aufgestiegen war, war keine Illusion. Bedeutete das nicht, dass es wahrscheinlich war, dass ich meinen Gefährten näher war als ihr? Und dass das wahre Risiko darin lag, mein Schweigen zu bewahren und zahllose Stunden in der Finsternis herumzutappen, bis Dehydrierung und Erschöpfung mich überwältigten, sofern ich nicht vorher verblutete?
Derart war ich innerlich zerrissen, ob ich um Hilfe rufen oder still bleiben sollte, und aus Sekunden wurden Minuten, und jede Minute zog die Zwangsjacke aus Unentschlossenheit und Lähmung fester an.
Meine innere Kraft erlahmte. Ich war ja nur ein Junge, wie Sie sich erinnern werden; ein Junge, der in seinem Teil an Klemmen und Notlagen gesteckt hatte, sicher, ein Junge, der Dinge gesehen hatte, die einen erwachsenen Mann erbleichen lassen würden, aber trotzdem ein Junge, trotzdem nur ein Kind. Ich rutschte an der Wand herunter, legte die Stirn aufdie angewinkelten Knie, schloss die Augen und betete. Mein Vater war kein besonders religiöser Mann gewesen; Aspekte des Theologischen hatte er der Fürsorge meiner Mutter anvertraut. Sie hatte jeden Abend mit mir gebetet und mich jeden Sonntag in die Kirche mitgenommen, um mir ein bisschen Frömmigkeit einzuimpfen, aber ich hatte der Religion gegenüber die Gleichgültigkeit meines Vaters geerbt und die Andachtsübungen ohne viel innere Überzeugung mitgemacht. Ein Gebet war nichts als Worte, die rein mechanisch wiederholt wurden. Als ich im Haus des Doktors einzog, endeten natürlich alle Kirchgänge und Gebete abrupt, und ich verzehrte mich nicht vor Kummer über den Verlust.
Aber jetzt betete ich. Ich betete, bis mir die Worte ausgingen, und dann betete ich mit meinem ganzen Wesen, ein Gebet, das sich nicht aus Worten zusammensetzte, sondern aus dem tiefen, wortlosen Sehnen meiner Seele.
Es war, während ich so beschäftigt war, die Augen fest zugedrückt, mich hin und her wiegend im Rhythmus des Rumorens meines gequälten Geistes, als eine Stimme aus der Dunkelheit zu mir sprach. Es war nicht, wie ich zuerst in meinem Kummer annahm, die Stimme dessen, zu dem wir beten. Eine Million Meilen davon entfernt!
»So, so. Was haben wir denn hier?«
Ich hob den Kopf und schirmte meine brennenden Augen gegen das Licht in seiner Hand ab. So hell wie tausend Sonnen blendete es mich. Er nahm mich beim Ellbogen und half mir auf die Füße.
»Das kleine verlorene Lamm ist gefunden«, flüsterte Kearns.
Wie es nun einmal so geht, hatte ich der Verzweiflung nur ein Dutzend Yards entfernt von der Erlösung nachgegeben, einem Verbindungsgang, der, wie Kearns mir mitteilte, nur eine kurze Wanderung vom Bau der Anthropophagen weit weg lag.
»Du bist ein Monstrumologenassistentenlehrlingsglückspilz«, meinte er mit seiner charakteristischen Munterkeit. »Fast hätte ich dich erschossen.«
»Wo sind die andern?«, fragte ich.
»Es gibt zwei Hauptverkehrsadern, die von ihrer Nistkammer wegführen; Malachi und Warthrop haben die eine genommen und ich die andere, dieselbe wie du offensichtlich, aber was ist mit deinem Arm passiert?«
Ich berichtete von meinen Abenteuern nach meinem jähen Fall in das Herzstück ihres Baus. Kearns bekundete Bewunderung ob meines Schneids beim Erledigen des verletzten Jungtiers. Er schien überrascht von meinen Eigenschaften unter Druck.
»Großartig. Absolut Großartig! Verdammt gute Arbeit, Will! Pellinore wird überglücklich sein. Er war ganz außer sich, als du nicht zurückgekommen bist. Ausgesprochen hektisch. Ich habe noch nie einen Menschen so die Schaufel schwingen sehen. Hätte er in eine andere Richtung gegraben, er wäre in einer Stunde in China angekommen! Aber jetzt lass uns einmal einen Blick auf diesen Arm werfen.«
Er wickelte den provisorischen Verband ab. Das letzte Stück Stoff war voll Blut und klebte an meinem Arm fest, und ich zuckte vor Schmerz zusammen. Aus den Bisswunden sickerte immer noch Blut. Er hing mir das blutige Hemd über die Schulter und sagte: »Am besten, wir lassen sie ein bisschen atmen, Will. Wir wollen doch keine Infektion riskieren.«
Mit einer Hand in meinem Kreuz schob er mich zur Mündung des Tunnels, der nach draußen führte. »Schau nach
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