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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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nachzudenken steckte ich die Knochen in meine Tasche.
    »Dedham!«, schrie der Monstrumologe. »Wusste ich doch, dass ich es schon mal gesehen habe! Hier ist es, Will Henry, unter dem Eintrag vom 19. November 1871: Dedham. Ich war zum letzten Mal im Motley Hill. Ich kann mich einfach nicht dazu überwinden, noch einmal dorthin zu gehen, in sein gequältes Antlitz zu blicken und darin die Perfidie meiner Sünde bis ins Kleinste widergespiegelt zu sehen. Bei meiner Ankunft regte er sich ziemlich auf, verlangte, dass ich ein für alle Mal seine Leidensgeschichte bestätigen und ihm damit vollen Straferlass und die mögliche Entlassung verschaffen sollte, doch, durch die bittere Notwendigkeit der Wahrung der Interessen der Wissenschaft und meiner selbst, war ich gezwungen abzulehnen. Nachzugeben und ein solches Anerkenntnis zu machen, könnte den gegenteiligen Effekt haben. Dies könnte, aller Wahrscheinlichkeit nach, seine Haft für den Rest seiner Tage nach sich ziehen – und ebenso die meine. Dieses Risiko durfte ich nicht auf mich nehmen und versuchte, ihm das zu erklären, an welchem Punkt er mich körperlich bedrohte und ich gezwungen war, mich zu verabschieden … Arme gequälte Kreatur! Vergib mir, V, vergib mir! Du bist nicht der Erste, der für die Sünden eines anderen büßen muss! Vergib mir meine Missetat, weder die erste noch die letzte von vielen, wie ich fürchte. Am Tag des Jüngsten Gerichts werde ich dich wiedersehen. Dann werde ich mich für das verantworten, was ich dir angetan habe …
    Ich kann nicht weitermachen … Die Geisterstunde naht,›wo Gottes Äcker tief sich auftun und die Hölle selbst ausatmet Gift‹. Wenngleich ich es bis aufs Mark überdrüssig bin, muss ich dem schrecklichen Aufruf Folge leisten. ›Die Glocke läutet, die Stunde kommt, und Christus selbst wird verhöhnt …‹«
    Warthrop hörte auf zu lesen und schloss das Buch über seinem Finger. Etwas Dunkles zog über sein hageres Gesicht. Er seufzte, hob die Augen zur Decke und kratzte sich leicht unterm Kinn.
    »Es geht noch weiter. Noch mehr ermüdendes Gefasel, noch mehr Nagen am Knochen der Selbstbeschuldigungen und der Selbstvorwürfe. In der Blüte seiner Jahre waren nur wenige meinem Vater ebenbürtig, Will Henry. Sein Intellekt wurde nur noch von seiner rastlosen Wissbegierde übertroffen, seiner unnachgiebigen Suche nach Wissen und Wahrheit. Unser Wissenschaftszweig hat der Arbeit seiner jüngeren Jahre viel zu verdanken, aber als er älter wurde und die Angst vor seiner eigenen Sterblichkeit ihn zu überwältigen begann, fiel er immer tiefer in den Abgrund albernen Aberglaubens und sinnloser Schuld. Er starb als verängstigter und törichter Mann, ein Zerrbild des brillanten Wissenschaftlers, der er einst gewesen war, verzehrt von Furcht, wahnsinnig gemacht von Schuld, getragen zu seinem gerechten Lohn auf einer Arche aus falscher Scham.«
    Wieder seufzte er, eine längere, traurigere Exhalation. »Und er starb ganz allein. Meine Mutter war zwanzig Jahre zuvor der Schwindsucht erlegen; ich war in Prag; und seine Kollegen hatten ihn über die Jahre hinweg einer nach dem anderen aufgegeben, als er in tattrige Senilität und religiösen Wahn verfiel. Ich kehrte nach Amerika zurück, um seine Angelegenheiten zu regeln, und dabei entdeckte ich das hier« – er hielt das alte Tagebuch hoch –, »eine bestürzende Aufzeichnung des allmählichen Niedergangs meines Vaters in den Wahnsinn, offensichtlich nur eins von vielen Büchern, obwohl dieses das einzige ist, auf dessen Zerstörung er aus Gründen, die ich mir immer noch nicht erklären kann, verzichtete. Ich habe mir lange denKopf zerbrochen über die Bedeutung dieses speziellen Eintrags, und bis jetzt war ich nicht völlig überzeugt davon, dass es sich dabei nicht, wie bei vielen, die ihm vorangehen und ihm folgen, um das irre Gerede eines einstmals klugen Kopfes handelt, der unter dem Ansturm der Reue und der auszehrenden Krankheit namens Zweifel zugrunde geht.
    Dedham, Motley Hill oder dieser geheimnisvolle V werden an keiner anderen Stelle in diesem Tagebuch erwähnt, und ich bin auch in keiner seiner veröffentlichten Abhandlungen oder einem seiner Berichte an die Gesellschaft auf diese Namen gestoßen.« Er nahm eine Zeitung von dem Stapel vor ihm. »Nirgendwo habe ich einen Hinweis darauf gesehen, bis heute, hier, in dieser Zeitung, die seit über drei Jahren in meinem Besitz ist. Drei Jahre, Will Henry! Und nun fürchte ich, dass es dazu gekommen

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