Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist
mich.
»Will Henry, warte draußen auf mich!«
»Drau – draußen, Sir?«, stotterte ich.
»Falls du sie durch den Flur herkommen siehst, klopfst du zweimal an die Tür.«
Er wandte sich wieder dem Sterbenden zu, sich meines sofortigen Gehorsams wie immer sicher. Er schob ihm eine Hand unter den Kopf und zog mit der anderen das Kissen darunter heraus. Ohne in meine Richtung zu sehen, sagte er mit belegter Stimme: »Tu, was ich dir gesagt habe, Will Henry.«
Ich stellte die Lampe auf den Boden, und der Schatten, den sie über das Bett warf, verdunkelte das Gesicht des Doktors und den Mann, über dem es schwebte: ein dunkler Schleier für eine dunkle Angelegenheit. Ich ließ sie so zurück, erstarrt in diesem düsteren Tableau, und schloss die Tür hinter mir und sog die Luft im Gang bis auf den Grund meiner lechzenden Lunge ein, wie ein Schwimmer, der sich dem stählernen Griff eines grausamen Gezeitenstroms entwunden hat. Ich drückte mich mit dem Rücken an die Wand zwischen Varners Tür und der seines Nachbarn und rutschte langsam nach unten, schlang die Arme um meine angewinkelten Beine und presste das Gesicht gegen die geschlossenen Knie. Da war ein scharrendes Geräusch hinter der Tür des Nachbarn, und dieselbe heisere Stimme, die ich schon vorher gehört hatte, sprach wieder und sagte: »Hallo noch mal, Kleiner! Bist du zurückgekommen, um mich zu besuchen? Nur keine Schüchternheit! Ich weiß, dass du da bist.« Die Person hinter der Tür schnupperte mit einem abscheulichen Schnüffeln, bei dem es mich kalt überlief. »Ich kann dich riechen . Komm schon, sei ein braves Kind und mach die Tür auf! Wir können spielen . Ich werde nett sein; ich verspreche es!«
Ich ließ meine Knie los und presste mir die Hände auf die Ohren.
Wie lange ich zusammengekauert in diesem elenden Flur hockte, während die geisterhafte Stimme wisperte und mich inständig bat, ihr doch die Tür zu öffnen, kann ich nicht sagen. Ich war trostlos, untröstlich, gepeinigt von den Erinnerungen an das wahnsinnig machende Summen der Fliegen und ihr Klatschen gegen die Fensterscheibe und den gurgelnden Schrei Hezekiah Varners – Nicht meine Stiefel! Bitte nicht meine Stiefel! Die Zeit verstreicht anders an Orten wie dem Motley Hill Sanatorium. Wie auf der Unglücksexpedition der Feronia schien eine Stunde hier länger als ein Tag und die Nächte länger als ein Jahr. Welchen Trost konnte man an einem Ort wie diesem schöpfen aus der Gewissheit, dass auf die Nacht der Tag folgt, wenn jeder Tag sich aus derselben ermüdenden Routine zusammensetzt, einem Fegefeuer aus aneinandergereihten identischen Stunden? Welche Bedeutung hat eine Stunde, wenn sich diese Stunde nicht von irgendeiner anderen unterscheiden lässt? Ein neuer Tag dämmert, eine weitere Jahreszeit kommt und geht, ein Jahr verstreicht und dann noch eins, und noch eins, bis dreiundzwanzig Jahre in Vergessenheit geraten sind. Ach, Hezekiah, kein Wunder, dass du dich an deine letzte Reise erinnerst, als hättest du dich der salzigen Tiefe erst gestern auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert! Die Jahre dazwischen werden von diesen acheronischen Gängen geschluckt wie Licht von einem schwarzen Loch, während du hilflos auf dem Ereignishorizont wankst, wo die Zeit vom Flügelschlag einer Fliege in der abgestandenen Luft gemessen wird.
Wie dumm kam ich mir jetzt vor, dass ich den Doktor dafür verurteilt hatte, Erasmus Gray das Leben genommen zu haben! Nie ist ein absurderer oder heimtückischerer Grundsatz aufgestellt worden als »Wo Leben ist, ist Hoffnung« , hatte er mit Nachdruck erklärt. Welcher Beweis war sonst noch nötig außer dem Fall des Hezekiah Varner, Captains des Unglücksfrachters Feronia ? Leben hatte er, aber welche Hoffnung? Sein Schicksal unterschied sich in nichts von dem jener zarten Jungfrau, die in die Opfergrube des Oba geworfen worden war – nein, es war sogarschlimmer, denn jener grausame Fressrausch hatte nur ein paar Sekunden gedauert, während derjenige der Maden Wochen währte. Konnte irgendein Schicksal hoffnungsloser entsetzlich sein als dieses? Gefressen zu werden, während man sich der eigenen Verzehrung bewusst ist? Ohne Zweifel hätte Erasmus genau wie Varner gefleht Töten Sie mich , wäre ihm die Zeit dafür geblieben, und ohne Zweifel, wie der Doktor gesagt hatte, hätte er ihm dafür gedankt, wenn er gekonnt hätte.
Es kam folglich als Überraschung, als der Doktor die Tür öffnete – das Lampenlicht warf seinen langen Schatten
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