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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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sie im nächsten Atemzug über ihm. Plötzlich schoss ihm das Bild des nackten jungen Mädchens in der Grube, ihr kopfloser Körper, der im Schlamm und seinem eigenen Schmutz wild um sich schlug, durch den Kopf.
    Und dann, als wäre diese Erinnerung eine Frage, gab sie ihre Antwort: Das Monster schlug zu.
    Das Fußbrett brach entzwei, als sie aus ihrem Versteck gerast kam; es war dieses donnernde Krachen berstenden Holzes, das Varner warnte. Er feuerte; der Schuss ging ins Blaue. Etwas versetzte seinem Bein einen heftigen Ruck: Sie hatte ihre Klauen in seinem Stiefelabsatz versenkt. Er schlug mit dem Gewehrlauf auf die Stelle zwischen ihren hochgezogenen Schultern ein, als sie ihn auf ihren wartenden Rachen zuzerrte. Er holte aus und trat mit der Spitze seines einen Stiefels hart gegen den gefangenen Absatz des anderen. Sein Fuß rutschte aus der Falle, und er krabbelte auf seinen Schreibtisch zu, wobei er im Rollen und Stampfen des ächzenden Schiffes kaum das Gleichgewicht halten konnte.
    Er hatte ihn Jahre zuvor erworben, in Borneo, von einem malaiischen Schmied, der für seine Begabung in Waffenmetallurgie bekannt war: Einen Kris, den schlangenförmig gekrümmten Dolch, den Varner dazu benutzte, Briefe zu öffnen oder, wenn gerade nichts Geeigneteres zur Hand war, in den Zähnen herumzustochern. Die Vorsehung war ihm in diesem Moment hold, denn der Raum erhellte sich, und das strahlende Licht des Blitzes glänzte auf der Klinge, die auf dem Schreibtisch lag. Er packte den Kris, wirbelte herum und stieß den Dolch blindlings ins Dunkel.
    »Ich kann nicht sagen, was es war«, schnaufte der bettlägerige alte Mann dreiundzwanzig Jahre später. »Zufall oder Schicksal. Glück oder die Hand meines Schutzengels, was die Klinge in blindem Stoß in das schwarze Auge der verfluchtenBestie lenkte. Aye, blind wurde der Stich geführt, der sie blendete! Lauter als das Tosen der See und das Dröhnen des Donners waren ihre Angst- und Schmerzensschreie, als sie zurücktaumelte, und ich hörte, wie sie in die Überreste meines Betts fiel. Vielleicht stolperte sie über den armen Burns; ich kann es nicht sagen. Ich war schon an der Tür.«
    Zufall oder Schicksal hatten ihm Gelegenheit gegeben; jetzt gaben ihm Furcht und ihr wohltätiges Produkt Adrenalin die Stärke, sie zu ergreifen: Er schleuderte den Schrank aus dem Weg, riss die Kajüttür weit auf und stürzte sich in die peitschenden Regenmassen.
    »Ich schaute weder nach rechts noch nach links«, sagte er. »Ich scherte mich nicht darum, ob mich ein Kaventsmann oder ein verirrter Blitzstrahl erwischte. Ich steuerte geradeswegs auf die Rettungsboote zu.«
    Aber das Tau, mit dem das Boot an der Feronia festgezurrt war, hatte sich durch den unablässigen Wind hoffnungslos verdreht und verheddert. Varner kauerte sich in das eiskalte Wasser, das sich am Boden des Boots gesammelt hatte, und blinzelte gegen den trommelnden Regen an, während er mit tauben Fingern vergeblich an dem verknoteten Tau zog und zerrte.
    Mit immer noch gesenktem Kopf und immer noch geschlossenen Augen sagte Warthrop leise: »Das Messer.«
    »Aye, Warthrop. Das Messer. Und wissen Sie, wie ich mich mit diesen Knoten plagte, während ich gleichzeitig auf die Klinge biss, um meine Zähne davon abzuhalten, mir vollends aus dem Kopf zu klappern? Ich lachte hysterisch über meine eigene Dummheit, erschlagen sozusagen von meinem Glück, und schnitt das Tau durch und fiel direkt nach unten, ins Meer.«
    Nachdem er seine Erzählung beendet hatte, sprach ein paar Augenblicke lang niemand. Warthrop blieb an die Wand gelehnt und Varner lag da, wie er es seit unserem Eintreten getan hatte, so reglos wie eine Leiche; nur die Zunge huschte zwischen den ins Purpurne spielenden Lippen hin und her, und die Augen wanderten über die gelbstichige Zimmerdecke. Ich stand an der Tür, wo ich mich scheinbar vor Stunden postiert hatte. Hätte ich nicht mit eigenen Augen Eliza Bunton in jener obszönen Umarmung gesehen oder Erasmus Grays Hinscheiden aus nächster Nähe miterlebt, ich hätte seine Geschichte ohne Zweifel für das Produkt eines gequälten Geistes gehalten, eine Wahnvorstellung, entsprungen der Demenz eines alten Seebären, nicht mehr wert als die Geschichten über Nixen oder riesige Meerestiere, die ein Schiff und seine ganze Besatzung schlucken können. Konnte es eine grausamere Ironie als diese geben? Wie, nach seiner Rettung, die Wahrheit ihn hierher gebracht hatte, in ein Haus für die Irren, denn nur ein Irrer

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