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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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flackernden Lampenlicht gewitterwolkengrau glänzen sehen konnte. Blutiger Eiter tröpfelte über den Rand des Lochs und lief über eine Hautfalte, die von zwei Bauchfettrollen gebildet wurde, nach unten auf das schimmelige Laken zu. Mrs. Bratton hatte es nicht vom Bett ziehen können; Varner war zu schwer dafür. Warthrop grunzte, ging mit dem Gesicht bis auf wenige Zoll an die Wunde heran und blinzelte ins Innere der eiternden Stelle.
    »Nein«, murmelte er kopfschüttelnd. »Hier nicht … Ah! Ja, unsere gute Mrs. Bratton hat ein paar ausgelassen. Siehst du sie, Will Henry? Schau genau hin; siehst du, dort unter der zweiten Rippe?«
    Ich folgte seinem Finger zu der Stelle, wo sie sich im organischen Dung von Varners zerstörtem Körper wanden und krümmten: drei Maden, die in dem infizierten Fleisch ein schlangenartiges Ballett aufführten und deren schwarze Köpfe wie polierte Perlen glänzten.
    »Fassen … Sie … mich … nicht … an!«
    »Wir sind myop in unseren Wahrnehmungen, Will Henry«, flüsterte der Doktor. »Wir bevölkern unsere Albträume mit den falschen Fleischfressern. Denke einmal darüber nach: Die bescheidene Made verzehrt mehr rohes Fleisch als Löwen, Wölfe und Tiger zusammen. Aber was ist das?«
    Er schob sich an mir vorbei ans Fußende des Bettes. Ich hatte mich geirrt, als ich gedacht hatte, der Captain sei völlig nackt. Das war er nicht. Er hatte Stiefel an. Das Leder war rissig, die Schnürsenkel waren zu Stückchen knotiger Schnüre verfallen. Der Doktor drückte behutsam mit dem Finger auf die geschwollene rote Haut direkt über dem Stiefel an Varners rechtem Fuß, und Varner reagierte mit einem heiseren Schmerzensschrei. Warthrop schob eine Hand zwischen die Ferse und die Matratze, und schon diese eine Berührung bewirkte, dass der Captain sich vor Qualen versteifte.
    »Um Gottes willen, wenn auch nur ein Funken Mitleid in Ihnen steckt, Warthrop …!«
    »Der Fuß ist geschwollen, übel infiziert, der linke ebenso, vermute ich«, murmelte der Monstrumologe, ohne seinem Flehen Beachtung zu schenken. »Bring die Lampe näher, Will Henry. Stell dich da hin, ans Fußende. Wenn ich doch nur ein scharfes Messer hätte, dann könnte ich ihn wegschneiden.«
    »Nicht meine Stiefel! Bitte nicht meine Stiefel!«
    Warthrop packte den zerfallenden Schuh mit beiden Händen und riss heftig daran. Waren das dieselben Stiefel, die ihm vor dreiundzwanzig Jahren das Leben gerettet hatten?, fragte ich mich. Hatte er sich die ganze Zeit über in abergläubischer Furcht geweigert, sie auszuziehen? Die Muskeln im Nacken des Doktors spannten sich, als er sich abmühte, um den Stiefelherunterzubekommen. Varner fing unkontrollierbar zu weinen an. Er fluchte. Er machte seiner Verzweiflung mit einer Reihe von Gotteslästerungen und Schmähungen Luft, die in herzerweichende Schluchzer gepackt waren.
    Der Schuh brach in der Hand des Doktors auseinander, während er daran zog. Der Gestank sich zersetzenden Fleisches überflutete uns wie eine ekelerregende Schockwelle. Als der Stiefel sich löste, blieb die von ihm umhüllte Haut an ihm haften, löste sich in einer einzigen geronnenen Masse vom Fleisch, und dicker, schleimiger Eiter ergoss sich aufs Laken.
    Mit einem Ausdruck der Bestürzung und des Ekels trat Warthrop zurück. »Gott verfluche sie hierfür«, sagte er leise und mit einem gefährlichen Unterton.
    »Ziehen Sie ihn mir wieder an!«, schrie der Captain. »Es tut weh! Es tut weh !«
    »Zu spät«, murmelte Warthrop.
    Er sah mir ins tränenstreifige Gesicht. »Die Infektion hat sich bis in seine Knochen ausgebreitet«, flüsterte er. »Er hat nur noch Stunden, nicht mehr als einen Tag.«
    Er ließ den kaputten Schuh auf den Boden fallen und kehrte an Varners Seite zurück. Mit großer Zartheit legte er die Hand auf die Stirn des leidenden Mannes und blickte ihm tief in die Augen.
    »Hezekiah, Hezekiah! Es ist sehr schlimm. Ich werde alles tun, was ich kann, aber –«
    »Es gibt nur eines, was ich will«, wisperte Varner.
    »Sagen Sie es mir; ich werde alles in meiner Macht Stehende tun.«
    Mit einer bedeutenden Anstrengung, einem Triumph des menschlichen Willens über unmenschliche Umstände, hob der alte Mann den Kopf einen Zoll weit vom Kissen hoch und flüsterte: »Töten Sie mich.«
    Der Doktor antwortete nicht. Er verharrte einen Moment lang in Schweigen, während er sanft die fiebrige Stirn streichelte. Dann richtete er sich mit einem kaum merklichen Nicken auf. Er wandte sich an

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