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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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hin.«
    Und er kam runter. Nicht derselbe Mann, der diesen Hügel hinaufgestiegen war, aber ein Mann, der aussah wie er. Ähnlich wie John Chanler die Überreste seiner menschlichen Natur zurückbehalten hatte, war auch die Fassade meines Herrn unversehrt. Aber die Augen meines Herrn waren leer, so leer und seelenlos wie die Augenhöhlen Pierre Laroses oder Sergeant Hawks, und betrachteten das Ende der Einsamkeit, das er nie erreichen würde.
    »Pellinore Warthrop«, intonierte Byrnes formell, »ich nehme Sie fest wegen Mordverdachts.«
    Obwohl ich jammerte und schrie, trat und boxte, trennten sie uns und warfen mich in den Brougham, der sich unverzüglich mit Ziel Polizeihauptquartier in Bewegung setzte. Ich drehte mich um und sah sie den Doktor in Handschellen abführen. Ich sah ihn einige Zeit nicht wieder.
    Die Stadt erwachte zum Leben, wenn auch zu einem Leben, das einem kleinen Jungen aus einem kleinen Neuenglandort gänzlich fremd war. Landstreicher hielten sich in Eingängen auf oder lungerten um die qualmenden Aschentonnen herum, mit finsteren Augen unter schäbigen Hüten, die Hände in die ausgefransten Ärmel ihrer Mäntel aus zweiter Hand gesteckt. Lumpensammler schoben Holzkarren über die Bürgersteige undsuchten in den engen Tiefen dunkler Gassen und den Abfallhaufen, die sich wie Herbstlaub an Veranden und Ladenfronten zu sammeln schienen, nach Brauchbarem.
    Hier die krummen Mietskasernen, an deren von Dach zu Dach gespannten Leinen jede Menge Wäsche flatterte. Dort die Schalbierkneipen, in deren Souterraineingängen ohnmächtig gewordene Betrunkene lagen, während neben ihnen Bengel knieten und ihre Taschen nach Kleingeld durchwühlten. Hier die Spielhölle, unheimlich ruhig zu dieser Stunde; dort der Konzertsaal, die geschwärzten Fenster mit Plakaten zugepflastert, die das neueste Tingeltangel bewarben. Und da Mulberry und Bleecker, das Bordell, wo junge Frauen mit stark geschminkten Gesichtern sich aus den offenen Fenstern lehnten und anonymen Passanten wie uniformierten Polizisten gleichermaßen zuriefen.
    Auf dem Polizeirevier brachte Connolly mich in einen kleinen, fensterlosen Raum, der mit einem Tisch und zwei wackligen Stühlen ausgestattet war. Er war nicht unfreundlich; er bot an, etwas zu essen für mich aufzutreiben, aber ich lehnte ab – Essen war das Letzte, wonach mir jetzt der Sinn stand. Er ließ mich allein. Ich hörte, wie ein Riegel vorgeschoben wurde, und bemerkte, dass die Tür auf meiner Seite keine Klinke hatte. Eine Stunde verging. Ich weinte, bis ich zu schwach zum Weinen war. An einem Punkt schwanden mir die Sinne, und ich knallte mit der Stirn auf die Tischplatte. Vielleicht ist es gar nicht wahr , dachte ich. Vielleicht war sie es gar nicht. Aber eine andere Erklärung für jenen unmenschlichen Schrei fiel mir nicht ein.
    Endlich hörte ich, wie der Riegel mit einem lauten Quietschen zurückgeschoben wurde. Oberinspektor Byrnes kam ins Zimmer, wobei seine erstaunliche Körperfülle den Raum unter sich zu begraben drohte, gefolgt von einem anderen großen Mann, der eine Melone trug und in einem Mantel steckte, der ihm eine Nummer zu klein war.
    »Wo ist der Doktor?«, fragte ich.
    »Kein Grund zur Sorge«, sagte Byrnes mit einer gönnerhaften Handbewegung. »Dein Doktor ruht sich gerade ganz gemütlichaus.« Er nickte dem Mann neben ihm zu. »Das hier ist Detective O’Brian. Er hat einen Jungen in deinem Alter, glaube ich; nicht wahr, O’Brian?«
    »Jawohl, Sir, das stimmt«, antwortete sein Untergebener. »Er heißt auch William, nur nennen wir ihn Billy.«
    »Siehst du?« Byrnes strahlte mich an, als wäre etwas Wesentliches aufgezeigt worden.
    »Ich will den Doktor sehen«, sagte ich.
    »Aber, aber, wir wollen doch nichts überstürzen, oder? Alles zu seiner Zeit, alles zu seiner Zeit. Möchtest du vielleicht irgendetwas, Will? Wir werden dir alles bringen, was du willst. Egal was.«
    »Was können wir dir bringen, Will?«, betete O’Brian nach.
    »Den Doktor«, antwortete ich.
    Byrnes warf seinem Kumpan einen Blick zu und wandte sich dann wieder an mich. »Das lässt sich machen. Wir können dir den Doktor bringen. Du musst bloß ehrlich zu uns sein und ein paar Fragen beantworten.«
    »Ich will zuerst den Doktor sehen.«
    Byrnes’ Lächeln schwand. »Dein Doktor ist in einer schlimmen Lage, Will. Er braucht jetzt deine Hilfe, und helfen kannst du ihm, indem du uns hilfst.«
    »Er hat nichts Unrechtes getan.«
    O’Brian schnaubte. »Hat er nicht?«
    Byrnes

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