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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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glaube nicht, dass Sie das dürfen«, schnaufte Connolly.
    »Schauen Sie zu, dann werden Sie sehen, was ich darf!«, brüllte von Helrung über die Schulter.
    »Inspektor Byrnes hat strikte Anweisungen hinterlassen –«
    »Und Sie können Inspektor Byrnes’ Anweisungen nehmen und sie sich in Ihren breiten irischen Arsch schieben!«
    Er war an der Vordertür angekommen. Ich konnte den grellen Schein der Bordelle auf der anderen Seite der Mulberry Street sehen. Vielleicht hätte er da seine Flucht einigermaßen friedlich bewerkstelligen können – sein Toben hatte das zirka halbe Dutzend Polizeibeamte auf ihren Plätzen erstarren lassen –, aber er konnte es sich nicht verkneifen, ihnen einen letzten Abschiedsschuss vor den Bug zu knallen.
    »Schande über euch! Schande über euch alle! Das bösartigste der Raubtiere, die ich studiere, kann euch nicht das Wasser reichen! Einen Mann so zu behandeln, ist eine Sache, aber ein Kind zu foltern! Und noch dazu ein Kind, das bereits mehr ertragen hat, als einer von euch sich überhaupt vorstellen kann! Diese Scheißpolizisten! So eine Schweinerei! Pah!«
    Er spuckte verächtlich aus, dann trug er mich geradewegs zum Bordstein und wuchtete mich in den Fond der Kalesche. Er sprang in den Sitz neben mir und rief Timmy zu, uns nach Hause zu bringen.
    »Der Doktor?«, keuchte ich.
    »In Sicherheit, Will«, antwortete mein Retter. »In Sicherheit. Nicht wohlauf, aber in Sicherheit – und ich bitte dich, mir zu vergeben, dass ich dich nicht früher aus den Klauen dieser einfältigen Scheusale befreit habe.«
    »Ich will den Doktor sehen«, sagte ich.
    »Und das sollst du auch, Will. Ich bringe dich jetzt zu ihm.«
    Von Helrungs Privatarzt, ein junger Mann namens Seward, hatte dem Doktor eine gründliche Untersuchung angedeihen lassen und keine ernsten Verletzungen entdeckt außer einer schmerzhaften – und schmerzlich offensichtlichen – Fraktur des Unterkiefers. Seward war besorgt um den Zustand von Warthrops Nieren; schon hatten sich hässliche Blutergüsse entlang der Lende gebildet, wo die Schlagstöcke energisch eingesetzt worden waren, aber er konnte nichts tun außer abwarten. Die Symptome eines Nierenversagens waren schwer zu übersehen.
    Ich fand meinen Herrn sitzend im Bett lehnend vor, gekleidet in eins von von Helrungs Nachthemden, das viel zu klein für ihn war und für mein treues Auge alles noch viel schlimmer machte. Ein Beutel mit Eis war in ein Tuch gewickelt und dieses dann um seinen Kopf geknotet worden, um die Kompresse fest an seinem Kiefer zu halten. Als ich das Zimmer betrat, öffnete er die Augen.
    »Will Henry«, sagte er, und die Anstrengung ließ ihn zusammenzucken. »Bist du es?«
    »Ja, Sir«, sagte ich.
    »Will Henry.« Er seufzte. »Wo bist du gewesen, Will Henry?«
    »Auf dem Polizeirevier, Sir.«
    »Das kann nicht sein«, sagte er. »Meine Erinnerung ist nicht völlig klar, aber ich erinnere mich deutlich daran, dass du nicht mit mir auf dem Polizeirevier warst.«
    »Ich war in einem andern Raum, Sir.«
    »Ach so. Nun, du hättest etwas präziser sein können.«
    Ich machte einen zögernden Schritt nach vorn, griff nach seiner Hand – und hielt mich davon ab.
    »Es tut mir leid, Sir.«
    Ich konnte mich nicht länger beherrschen. Es war zu viel, ihn so zu sehen. Und wenn es schon zu viel für mich war, wie war es dann erst für ihn? Er winkte mich näher und griff nach meiner Hand.
    »Es sollte dir nicht leidtun«, sagte er. »Du solltest froh sein. Dir ist es erspart geblieben. Du hast nicht gesehen, was ich auf diesem Hügel gesehen habe.« Er sprach grimmig durch zusammengebissene Zähne. »Was ich immer noch sehe – was ich verdammt bin zu sehen –, bis ich nichts mehr sehen kann!« Er schloss dieAugen. »Er wollte, dass ich es sehe … was er ihr angetan hatte … Mehr als Verstümmelung – ein Akt der Schändung. Ich glaube, ich habe ihn enttäuscht. Ich glaube, er hat letzte Nacht auf mich gewartet. Ich glaube, sie war noch am Leben, als er sie auf den Gipfel gebracht hat, und er wartete eine Zeit lang auf mich, ehe er seine geistesgestörte Vergeltung verübte.«
    »Nein!«, rief ich. »Sagen Sie das nicht, Sir! Bitte nicht –«
    »Er hat genug Hinweise für mich zurückgelassen, aber ich war blind dafür. Ich glaube, deshalb hat er ihr das Gesicht genommen, aber ihr die Augen gelassen, so als wollte er sagen: ›Selbst sie sieht mehr als du!‹ Das auf der Treppe hingeschlachtete Dienstmädchen, die auf die Tür hingeschmierte

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