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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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Phrase, der Trick mit dem Nachttopf und die Worte ›Guter Job!‹ auf dem Kopfbrett. Nicht ›Job‹ wie ›Arbeit‹ oder ›Leistung‹, sondern Job aus der Bibel, Job, der auf dem Misthaufen nach Gerechtigkeit schreit. Er hat alles getan, außer mir eine Landkarte zu zeichnen.«
    Ich rang darum, etwas zu sagen, doch was konnte unter solch traurigen Umständen gesagt werden? Welchen Balsam gab es, um seine Qualen zu lindern? Ich hatte nichts anzubieten außer meinen eigenen Tränen, die er zärtlich wegwischte – ein Maß seiner Pein vielleicht seine Sorge um mein Leid.
    »Sie war noch nicht lang tot gewesen, Will Henry. Nicht mehr als eine Stunde, würde ich schätzen. Er hat es mit mir aufgegeben, und dann hat er – hat er die Transaktion zum Abschluss gebracht.«
    Von Helrung hatte mir eine herzhafte Mahlzeit als Abendessen herrichten lassen, und wenngleich es mir nur gelang, ein paar Schluck Suppe und ein trockenes Stück Pumpernickel herunterzuzwingen, fühlte ich mich wieder belebt. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich zum letzten Mal etwas gegessen hatte. Ich war immer noch schrecklich müde und wünschte mir nichts mehr als noch eine Kostprobe des traumlosen Schlafs, an dem ich mich im Verwahrungsraum in der Mulberry Street ergötzt hatte. Meinem Verlangen sollte keine Erfüllung beschieden sein.Die Küchentür flog auf, und Lilly Bates sprang in den Raum, die Wangen glühend vor Freude.
    »Hier steckst du! Ich habe dich überall gesucht, William James Henry. Was macht dein Hals? Kann ich ihn sehen? Dein Dr. Warthrop wollte ihn mich nicht sehen lassen, obwohl ich ihm versichert habe, dass ich schon Schlimmeres gesehen habe als den Biss eines mongolischen Todeswurms, viel, viel Schlimmeres. Hat er dein Fleisch verflüssigt? Das passiert normalerweise nämlich, musst du wissen. Ihre Spucke schmilzt dein Fleisch wie Butter.«
    Ich gab zu, dass ich die Wunde nicht selbst untersucht hatte, ein Eingeständnis, das sie schockierend fand. Wieso sollte ich mir sie nicht ansehen wollen?
    »Vielleicht schämst du dich ja, sie anzusehen, weil du ein Lügner bist und es das ist, was mit Lügnern passiert – verflüssigtes Fleisch. Findest du nicht, dass das komisch ist, Will? Es ist so vollendet metaphorisch .«
    Sie saß ziemlich dicht bei mir, die Ellbogen auf den Tisch und das Kinn in die Hände gestützt, und musterte mich mit ihren verwirrend großen, saphirblauen Augen.
    »Muriel Chanler ist tot«, bemerkte sie sachlich.
    »Ich weiß.«
    »Hast du sie gesehen? Onkel hat gesagt, du warst da.«
    »Nein, habe ich nicht.«
    »Onkel hat gesagt, die Polizei hat dich geschlagen und gefoltert.«
    »Sie haben versucht, mich dazu zu bringen zu gestehen – eher nicht zu gestehen, sondern dazu zu sagen, dass der Doktor es getan hat.«
    »Aber das hast du nicht.«
    »Es war nicht die Wahrheit.«
    Sie hörte nicht auf, mich anzustarren. Ich rührte meine kalte Suppe um.
    »Sie werden ihn jetzt zur Strecke bringen«, sagte sie.
    »Wer?«
    »Die Monstrumologen. Na ja, nicht alle; nur diejenigen, dieOnkel eigens für die Aufgabe ausgesucht hat. Sie kommen heute Abend her, um ihren Schlachtplan zu entwerfen. Ich hab Mutter gesagt, dass ich dableibe. Sie glaubt, um dir Gesellschaft zu leisten. ›Dieser einsame kleine Henry-Junge‹, nennt sie dich. ›Diese arme kleine Waise, die diesen entsetzlichen Mann am Hals hat.‹ ›Dieser entsetzliche Mann‹ ist dein Doktor.«
    Aus irgendeinem Grund begann die Wunde unter dem Verband, schrecklich zu jucken. Ich musste mich unglaublich zusammenreißen, um nicht mit den Fingernägeln darin herumzuwühlen.
    »Es ist ja nicht ganz und gar gelogen«, sagte Lilly. »Denn hier bin ich – und leiste dir Gesellschaft! Du bist doch nicht böse auf mich, oder? Ich wollte ja gar nicht, dass das passiert, weißt du. Ich bin nicht gemein. Ich hab’s ehrlich nicht gewusst, bevor Adolphus mir gesagt hat, dass man ihr Geschlecht nicht feststellen kann. Er hat ihn getötet, weißt du. Nicht Adolphus – dein Doktor. Adolphus hat ihn von dir runtergenommen, und Dr. Warthrop hat ihn mit bloßen Händen in Stücke gerissen – als ob er wütend auf ihn wäre, als ob er ihn angegriffen hätte. Ich finde nicht, dass das richtig ist, du etwa? Ich meine, es war ja nicht die Schuld des Todeswurms. Er war einfach nur so, wie er ist.«
    »Was?«, fragte ich. Wie üblich bei Lilly Bates hatte ich gewisse Schwierigkeiten, ihr zu folgen.
    »Der Todeswurm! Er hätte ihn doch bloß in seine Kiste

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