Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
Vom Netzwerk:
ein Kind. Kinder haben stärkere Mägen. Das ist eine bekannte Tatsache, Will Henry.«
    »Ich fand die Ente sehr gut, Sir.«
    »Ja, das konnte ich sehen. So wie du dich vollgestopft hast,hätte man meinen können, es hätte vorher eine Woche lang nichts gegeben. Ich habe es dir schon viele Male gesagt, Will Henry, ein Mann hat entweder die Kontrolle über seinen Appetit, oder sein Appetit hat die Kontrolle über ihn. Du weißt doch, dass Dante mehr als einen Höllenkreis den unkontrollierten Begierden gewidmet hat. Für deine Vergehen des Fleisches wärst du für den dritten Kreis bestimmt, wo du in völliger Finsternis liegen würdest, während Scheiße vom Himmel auf dich herabregnet.«
    Ich nickte. »Ja, Sir.«
    »›Ja, Sir‹ … Findest du das eine erfreuliche Aussicht, Will Henry? Scheiße, die bis in alle Ewigkeit auf dich herabregnet?«
    »Nein, Sir.«
    »Aber das ist nicht das, was du gesagt hast. Du sagtest ›ja, Sir‹, als ob du dich damit einverstanden erklären könntest.«
    »Ich war mit Ihnen einverstanden, Dr. Warthrop, nicht mit der Vorstellung von Scheiße.«
    »›Die Vorstellung von Scheiße‹ … Will Henry, ich fange an zu glauben, dass du weitaus serviler bist, als dir guttut – und sicherlich als mir guttut. Schmeichelei bringt dich in den achten Kreis, wo du dich in einem Fluss ebendesselben Exkrements suhlen wirst.«
    »Dann scheint es nicht viel Hoffnung für mich zu geben, Sir.«
    Er grunzte. »Nicht viel, nein.«
    Ich unterdrückte ein Gähnen.
    »Halte ich dich wach, Will Henry?«
    »Ja, Sir. Nein, Sir. Es tut mir leid, Sir.«
    »Was?«
    »Dass … Ich erinnere mich nicht.«
    »Dir tut etwas leid, was du vergessen hast?«
    »Nein, Sir. Ich habe vergessen, was mir leidtut.«
    »Du machst mir Kopfweh, Will Henry. Eine Unterhaltung mit dir ist wie das Durchwandern von Minos’ Labyrinth.«
    »Ja, Sir.«
    »›Ja, Sir! Ja, Sir!‹«, äffte er mich nach, wobei sich seine Stimme um eine Oktave hob. »Wenn ich sagte, Kobolde tanzen Jig aufdem Herd, würdest du antworten: ›Ja, Sir; ja, Sir!‹ Wenn das Haus in Flammen stünde und ich dir sagte, du sollst Benzin darauf schütten, um das Feuer zu löschen, dann würdest du rufen: ›Ja, Sir! Ja, Sir!‹ und uns beide ins Jenseits pusten. Du hast doch einen Verstand, nicht wahr, William James Henry? Du wurdest doch mit diesem unentbehrlichen Beiwerk geboren, oder etwa nicht?«
    Die Worte lagen mir auf den Lippen – ›Ja, Sir!‹ – und gerade noch rechtzeitig schluckte ich sie wieder herunter. Er nahm jedoch keine Notiz davon. Der Monstrumologe war in Fahrt.
    »Waren denn all meine Bemühungen umsonst?«, rief er die Zimmerdecke an und schlug mit der Faust aufs Kissen. »Die Opfer an Zeit und Ungestörtheit, die geduldige Unterrichtung und Führung, die besondere Rücksichtnahme, die ich zu Ehren der Dienste deines Vaters an mir an den Tag gelegt habe – alles für die Katz? Im Ernst, welche Dividenden haben meine Bemühungen mir eingetragen, Will Henry? Fast zwei Jahre lang bist du jetzt bei mir, und wenn du auf die Probe gestellt wirst, ist deine Antwort das kriecherische Echo, das ich allenfalls vom niedersten Stallburschen erwarten würde. Daher werde ich dich noch einmal fragen: Hast du ein Gehirn?«
    »J–ja, Sir«, stotterte ich.
    »Oh, um Gottes willen, da sagst du es schon wieder!«, brüllte er.
    »Natürlich tu ich das!«, schrie ich zurück. Ich war endlich am Ende dessen angekommen, was ich ertragen konnte. Dies war nicht das erste Mal, dass ich von dem schrillen Schrei Will Henriiiii! ans Bett eines egozentrischen Geistesgestörten gerufen worden war, der meine Existenz kaum zu dulden schien. Was wollte er von mir? War ich bloß sein Prügelknabe, ein zupasskommender Hund, den er treten konnte, wenn Frustration und kindische Wut ihn überwältigten? Er war von dunklen Dämonen besessen, das hätte ich nie bestritten, aber es waren nicht meine Dämonen.
    »Die Sache, die ich über Appetit gesagt habe«, sagte er bedachtsam, offensichtlich betroffen von meiner Reaktion, »giltauch für die Gefühle, Will Henry. Es ist nicht nötig, dass du in Wut gerätst.«
    »Sie sind doch in Wut geraten!«, legte ich dar.
    »Ich hatte Grund dazu«, erwiderte er, womit er implizierte, dass ich keinen hatte. »Und auf jeden Fall würde ich dir nicht raten, meinem Beispiel in allen Dingen zu folgen. Nun ja, eigentlich in kaum etwas.« Er lachte trocken. »Nimm nur das Studium der Monstrumologie …«
    Das möchte ich eigentlich nicht ,

Weitere Kostenlose Bücher