Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Schilde führen! Ich weiß, was hier läuft! Ich gebe mein Bestes. Nichts hiervon ist meine Schuld! «
    Mit einem Fußtritt beförderte er einen brennenden Stock ins Unterholz. Flammen leckten und zischten im trocknen Zunder, und ich rannte hin, um sie auszutreten. Hinter mir lachte Sergeant Hawk höhnisch.
    »Lass es brennen, Will! Lass das Ganze abbrennen, und dann lass uns sehen, wo es sich versteckt! Dann kannst du dich nicht mehr vor mir verstecken, stimmt’s, du Scheißkerl?«
    »Sergeant«, sagte Warthrop, »da versteckt sich nichts im –«
    »Was sind Sie? Tot ? Ich höre es jede Stunde am Tag und rieche es jede Stunde in der Nacht. Ich rieche es jetzt – der Geruch nach Verwesung, der Gestank von verfaulendem Dreck! Er ist überall über uns; er hat unsere Kleider durchtränkt; wir haben darin gebadet, bis er sich in unserer Haut festgesetzt hat; er kommt raus, wenn wir atmen !«
    Er deutete mit einem gekrümmten Finger aufs Zelt.
    »Denken Sie, etwas hiervon wäre neu für mich? Ich war hundertmal im Wald, bin irgendeinem verirrten Greenhorn hinterher, das auf Trophäenjagd war, irgendeinem reichen Dreckskerl ohne die Vernunft, die Gott ihm gegeben hatte, nicht dorthinzugehen, wo er nicht hingehört! Ich weiß Bescheid, ich weiß Bescheid …« Er wischte sich mit dem Handrücken hart über den Mund, und seine Unterlippe riss auf. Er drehte den Kopf herum und spuckte Blut ins Feuer.
    »Vor ein paar Jahren hab ich einen rausgebracht, und er ging ohne Gesicht heim. Ein großer Grizzly schlug ihm die Krallen in die Augenhöhlen, stanzte ihm beide Augen aus und riss ihmdas ganze Gesicht runter. Riss es ihm einfach komplett runter, dem dämlichen blinden Dreckskerl. Ich bin zurück nach Rat Portage marschiert mit seinem gottverdammten Gesicht in der Tasche! Wie fandest du das als Trophäe, du reicher, dämlicher, blinder, gesichtsloser Dreckskerl!«
    Wieder lachte er, spuckte erneut aus. Schimmernde Stückchen von Blut und Speichel hingen an seinem Schnurrbart. Er warf die breiten Schultern zurück und reckte dem Doktor die kräftige Brust entgegen.
    »Ich werde Sie rausschaffen, Dr. Monstrumologe. So oder so – selbst wenn es bedeutet, dass ich Ihnen den Weg mit meinem kalten, toten Finger zeige – ich werde Sie rausschaffen.«
    Später gesellte ich mich zum Doktor ins Zelt, wo ich meinen Ellbogen auf dem angewinkelten Knie balancierte, um mit der Hand nichts zu berühren: Die Wunde tat scheußlich weh. Durch die offene Zeltklappe konnten wir Hawks zusammengekauerte Silhouette sehen.
    »Haben wir uns verirrt?«, flüsterte ich. Meine unverletzte Hand streichelte langsam meinen schmerzenden Bauch. Der Hunger war zu einer knorrigen, zerrenden Faust geworden, die sich tief in meinem Inneren eingegraben hatte.
    Anfangs antwortete der Doktor nicht.
    »Wenn er irre wird, werden wir uns auch verirren«, sagte er schließlich.
    Er streckte die Hand in die Dunkelheit aus. Ich spürte seine Wärme auf meiner Wange. Ich zuckte zusammen: Ich war es nicht gewohnt, dass der Doktor mich berührte.
    »Kein Fieber«, sagte er schnell und nahm die Hand wieder weg. »Gut.«
    Erschöpft wie ich war, döste ich ein. Als ich aufwachte, lag er an mich angelehnt zusammengerollt neben mir, Chanler an ihm, und Pellinore Warthrops Hand lag um meinen Arm. Er hatte im Schlaf nach mir gegriffen – ich war die Boje, die ihn über Wasser hielt, oder er das Gewicht, das mich am Wegfliegen hinderte.
    Als ich die Augen aufschlug, erwiderten seine meinen Blick – nicht die des Doktors, Chanlers –, und die Farbe dieser Augen war ein eigenartiges, glänzendes Gelb, wie Murmeln, aufgesplittert von roten arteriellen Fissuren, als hätte irgendeine große Kraft sie zusammengedrückt, bis sie gesprungen waren. Ich lag so dicht bei ihm, dass ich mein Spiegelbild in den blinden Pupillen sah. Einen Moment lang war ich mir sicher, dass er in der Nacht entschlafen war. Dann hörte ich seinen Atem rasseln, tief in der schmalen Brust, und atmete selbst erleichtert aus. Wie schrecklich wäre es gewesen, so weit gereist zu sein und so viel ertragen zu haben, nur um ihn dann kurz vor der Rettung zu verlieren! Des letzten Males eingedenk, da unsere Blicke sich begegnet waren, rutschte ich nach hinten, um einen gewissen Abstand zwischen uns zu bringen, und dabei folgten mir die Augen nicht, sondern blieben auf die Stelle geheftet, die ich besetzt gehabt hatte. Der leichenhafte Mund bewegte sich; kein Laut kam heraus. Vielleicht hatte er keine Luft für