Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo
Worte.
Ich rollte mich aus dem Zelt und stand dümmlich blinzelnd da, denn mein Verstand rebellierte gegen den Anblick. Das Lager war verlassen. Der Rauch des erloschenen Lagerfeuers hing träge in der kalten Morgenluft. Das war die einzige Bewegung, die ich sah. Der Doktor und Hawk waren verschwunden, genau wie ihre Gewehre.
Leise rief ich ihre Namen. Meine Stimme klang leise und gedämpft, wie der Ruf eines verwundeten Waldtiers, und deshalb schrie ich laut: »Dr. Warthrop! Sergeant Hawk! Hallo! Hallo!« Meine Rufe schienen sich nicht weiter als einen Fuß von meinem Mund fortzupflanzen, niedergeschlagen von der böswilligen Hand der bedrohlichen Bäume, die Silben zerschmettert von der bedrückenden Atmosphäre. Ich schloss den Mund, während das Herz in meiner Brust raste, und dachte beschämt: Es tut mir leid, es tut mir leid , denn ich hatte etwas beleidigt; meine Schreie waren eine Kränkung des feindseligen Animus der Wildnis.
Direkt hinter mir hörte ich jemanden sprechen. Ich drehte mich um. Guttural und gurgelnd vor Schleim schwebte Chanlers Stimme in der frostigen Luft, so flüchtig wie der Rauch, der von den schwelenden Scheiten aufstieg. Weder Worte, die einer menschlichen Sprache angehörten, noch geistloses Geschwafel, eher wie das Geschnatter eines Kleinkinds, das Sprache nachahmt, sich bemüht, das Abstrakte konkret zu machen, die Gedanken, die wir denken, bevor wir Worte haben, um sie zu denken.
Ich steckte die Hand in die Zeltöffnung. Der Mann hatte sich nicht bewegt. Er lag zusammengerollt auf der Seite, die Hände an die Brust gezogen, die Lippen glänzend vor Speichel, indes die dicke, gelbliche Zunge mit Worten rang, die er kannte, aber nicht deutlich aussprechen konnte.
» Gudsnuth nesht! Gebgung grojpech chrishunct. Cankah!«
Ich ließ mich mit dem Rücken zum Zelt auf den Boden plumpsen und kämpfte gegen das blinde Entsetzen an, das mich jetzt zu überwältigen drohte. Wo waren sie hin? Und wieso waren sie gegangen, ohne es mir zu sagen? Bestimmt hätte doch zumindest der Doktor mich geweckt, bevor er gegangen wäre.
Es sei denn, er konnte nicht. Es sei denn, etwas hatte ihn in der Nacht entführt, sich sowohl seiner als auch Hawks bemächtigt. Es sei denn … Ich erinnerte mich an das hysterische Lachen unseres erschöpften Führers, die Röte der Erregung auf seinen unrasierten Wangen, das Blut, das ihm von den Lippen flog … Was, wenn sein Verstand endgültig nachgegeben und er dem Doktor etwas angetan hatte und sich jetzt seiner Leiche entledigte, in diesem öden Land, das seine Geheimnisse niemals preisgibt?
Ich klopfte meine Taschen ab, denn ich war nicht in der Lage, mich zu erinnern, ob ich den Revolver des Doktors zurückgegeben hatte. Augenscheinlich hatte ich.
Was sollte ich machen? Sollte ich nach meinen verschollenen Gefährten suchen? Was, wenn sie gar nicht verschollen waren, sondern beschlossen hatten, etwas zu untersuchen, das einer gesehen oder gehört hatte – oder bloß auf die Jagd gegangen waren,um jeden Moment zurückzukommen? Und was würde der Doktor sagen, wenn und falls ich unser Lager jemals zufällig wieder finden sollte – welches Maß an Zorn würde über meinem törichten Kopf niedergehen, weil ich allein in den Wald gewandert war und dabei den einzigen Grund, weshalb wir hierhergekommen waren, im Stich gelassen hatte? Derlei fragte ich mich, während ich versuchte, meinen Verstand beisammenzuhalten, der von dem unerträglichen Unsinn im Zeltinnern und der in meinem Innern übersprudelnden Panik durchgerüttelt wurde.
Er könnte verletzt sein , dachte ich. Da draußen liegen, nicht imstande, um Hilfe zu rufen. Ich könnte ihn vielleicht retten, aber wer wird mich retten?
Irgendetwas zu tun ist besser, als sich von Furcht lähmen zu lassen, also zwang ich mich mit einem Mach fix, Will Henry! hoch und inspizierte rasch das Gelände auf der Suche nach Fußspuren oder einem anderen Zeichen, das vielleicht erhellen mochte, was sich zugetragen hatte. Ich entdeckte keine von Stiefeln abgestoßenen Stellen oder verletztes Erdreich, nichts, was auf einen Kampf hingewiesen hätte. Ich wusste nicht, ob ich erleichtert oder noch beunruhigter sein sollte. Während ich so beschäftigt war, hörte ich etwas auf mich zukommen, dessen Annäherung vom Knacken und Zerbrechen des Unterholzes angekündigt wurde. Ich machte auf dem Absatz kehrt und rannte ins Lager zurück, weshalb, kann ich nicht sagen, denn ich war dort ebenso verwundbar wie hier, ohne Mittel der
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