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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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schwand. Vielleicht suchte er nach Ähnlichkeiten zwischen Hawks Verletzungen und denen Pierre Laroses. Mit Bestimmtheit kann ich es nicht sagen, denn er teilte mir seine Absicht nicht mit. Vielleicht trieb ihn einfach nur berufliche Neugierde. Ich hatte genug gesehen, daher sah ich nicht zu. Hoch oben im Baum hatte ich auch noch etwas anderes gesehen, etwas, das für mich fast so belebend war wie für einen Monstrumologen eine Leiche.
    Ich hatte den Kopf gedreht, um Hawks »Blick« zu folgen, und hatte es gesehen, von der sterbenden Sonne mit schimmerndem Gold bemalt – einen ausgedehnten See in der Ferne und, an seinem in der Ferne liegenden Ufer, Wauzushk Onigum , die Stadt Rat Portage.
    Er hatte sein Versprechen gehalten, hoch oben in dem Baum, der vom Haudenosaunee-Stamm der Baum des Großen Friedens genannt wurde. Er hatte uns den Weg nach Hause gezeigt.
    Es war unsere letzte Nacht in der Wildnis, und es war unsere schlimmste Nacht in der Wildnis. Die Temperatur sank mit der Sonne; sie muss weit unter dem Gefrierpunkt gelegen haben, und wir hatten keine Möglichkeit, ein Feuer zu machen. Wir häuften rings ums Zelt Schnee auf, um es zu isolieren, bevor wir hineinkrochen, wenngleich der Doktor mich eine Weile allein bei Chanler ließ, dessen Zustand sich mit jeder weiteren Stunde verschlechterte. Sein Gesicht hatte die Farbe von Asche angenommen, und die einzigen Lebenszeichen waren die winzigen Atemexplosionen, die in der frostigen Luft kondensierten. Ich befürchtete, dass all unsere Strapazen umsonst gewesen waren. Ich befürchtete, John Chanler würde die Nacht nicht überleben.
    Warthrop hatte mir aufgetragen, bei ihm zu bleiben. Diesem Befehl gehorchte ich nicht. Der Doktor war zu lange weg. Schließlich hatte etwas Pierre Larose und Jonathan Hawk getötet.
    Ich fand ihn knöcheltief im Schnee stehend, wo er die überwältigende Überfülle an Sternen betrachtete, deren silbernes Lichtgeschenk den Wald in ein glitzerndes Juwel verwandelte.
    »Ja«, sagte er leise. »Was gibt’s?«
    »Ich weiß nicht, was mit Ihnen passiert ist, Sir.«
    »Hm? Nichts ist mit mir passiert, Will Henry.«
    Sergeant Hawk lag dort, wo er gelandet war, die Arme ausgebreitet, als wäre er erfroren, während er einen Schnee-Engel gemacht hatte.
    »Außer dass ich irgendwo entlang des Weges den klaren Verstand verlegt habe«, fuhr der Doktor fort. »Wieso bin ich nicht auf die Idee gekommen, auf einen Baum zu klettern, um mich umzublicken?«
    »Denken Sie, das ist es, was passiert ist?«
    »Na ja, dort hochgeflogen ist er nicht, da bin ich mir fast sicher.«
    »Aber warum ist er nicht wieder runtergekommen?«
    Er schüttelte den Kopf. Er zeigte auf den Himmel. »Siehst du dort? Orion, der Jäger. War immer mein Lieblingssternbild … Etwas hat ihn offensichtlich daran gehindert. Vielleicht irgendein Raubtier. Er ist ohne sein Gewehr davongelaufen, der Narr. Vielleicht fürchtete er sich aber auch vor Höhen und konnte vor Angst keinen Muskel mehr bewegen. Erst vor Angst, dann vor Kälte.«
    »Aber was könnte ihn so aufgerissen haben?«
    »Postmortale Verletzungen, Will Henry. Von den Truthahngeiern.«
    Ich nahm mir einen Moment, um nachzudenken – immer die beste Verhaltensweise, wenn man sich mit Pellinore Warthrop unterhielt. Er ließ einen dafür bezahlen, wenn man es nicht tat.
    »Aber er hat sich an nichts festgehalten. Er blickte hinaus , und seine Arme waren ausgebreitet, ungefähr so, als wäre er … dort hingehängt worden.«
    »Was willst du damit andeuten, Will Henry?«
    »Ich will nichts andeuten, Sir. Ich habe gefragt …«
    »Verzeih mir. Es ist ziemlich kalt, und Schall pflanzt sich in der Kälte anders fort, aber ich habe dich nichts fragen hören.«
    »Es ist nichts, Sir.«
    »Ich nehme an, du wolltest bemerken, dass seine körperliche Lage nicht zu der Prämisse passt, dass er auf den Baum gestiegenist, zu welchem Zweck auch immer. Ich möchte anführen, dass diese Beobachtung irrelevant ist, denn der einzige Weg, wie er dort hochgekommen sein kann, ist zu klettern. Ich hatte die ganze Zeit über recht. Er verließ unser Lager, um nach dem Weg hinaus zu suchen – und fand ihn. Gerade noch rechtzeitig für uns – und zu spät für ihn.
    Die wichtigere Frage ist, was ihn getötet hat. Die Beschädigungen, die von den Aasfressern verursacht worden sind, machen diese Frage etwas schwierig zu beantworten, deshalb wäre meine Vermutung für den Augenblick Tod durch Erfrieren. Sergeant Hawk ist erfroren.«
    Ich biss

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