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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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der Königinaufgeführt hat. Sie kenne ich auch – Victoria. Onkel hat uns miteinander bekannt gemacht. Er kennt jeden. Er kennt Präsident Cleveland. Ich bin Präsident Cleveland im Weißen Haus begegnet. Wir haben zusammen Tee getrunken. Er hat ein Kind der Liebe, weil er verheiratet ist und nicht bei seiner wahren Liebe sein konnte; ihr Name ist Maria.«
    »Wessen Name?«, fragte ich. Ich hatte ein paar Schwierigkeiten, Schritt zu halten. »Der des Kindes der Liebe?«
    »Nein, der seiner wahren Liebe. Den Namen seiner Tochter kenne ich nicht. Ich glaube jedenfalls, dass es eine Tochter ist. Bist du ein Einzelkind, Will?«
    »Ja.«
    »Dann hast du also niemanden.«
    »Ich habe den Doktor.«
    »Und der hat niemanden. Das weiß ich. John Chanler hat seine wahre Liebe geheiratet.«
    »Ich denke nicht – Er hat nie gesagt – Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Doktor jemals verliebt war«, sagte ich. Ich erinnerte mich an seine Bemerkung in der Wildnis Sergeant Hawk gegenüber. »Er sagt, Frauen sollten als eine andere Spezies klassifiziert werden.«
    »Das zu hören überrascht mich nicht«, meinte Lilly und rümpfte die Nase. »Nach dem, was passiert ist.«
    »Was denn?«
    »Ach, das weißt du doch bestimmt. Das muss er dir doch erzählt haben! Bist du denn nicht sein Lehrling?«
    »Ich weiß, dass sie verlobt waren, und er ist irgendwie von einer Brücke gefallen und krank geworden, und so hat sie Dr. Chanler kennengelernt –«
    Sie warf den Kopf zurück und lachte ausgelassen.
    »Ich wiederhole nur, was er gesagt hat!«, protestierte ich, beschämt und wütend auf mich selbst wegen meiner Indiskretion. Das war keine Geschichte, auf die der Doktor besonders stolz war, und ich wusste, er wäre verletzt, wenn er erführe, dass ich sie weitererzählt hatte.
    »Ich dachte, du wolltest mir dein Geburtstagsgeschenk zeigen«, fuhr ich fort in der Hoffnung, das Thema zu wechseln.
    »Oh! Mein Geschenk! Das habe ich ganz vergessen!« Sie hüpfte von der Matratze und verschwand halb unterm Bett, um es hervorzuholen, einen schweren Wälzer, den sie zwischen uns auf den Boden schmiss. Der Titel war in reich verzierter Schrift auf dem Ledereinband aufgeprägt: Compendia ex Horrenda Maleficii .
    »Weißt du, was das ist?«, fragte sie gebieterisch. Es klang wie eine Herausforderung.
    Mit einem Seufzer und sinkenden Mutes antwortete ich: »Ich glaube schon.«
    »Mutter würde Onkel umbringen, wenn sie wüsste, dass er es mir gegeben hat. Sie hasst Monstrumologie.«
    Sie blätterte schnell durch die dünnen Seiten des Buchs. Ich erhaschte flüchtige Blicke auf grausige Zeichnungen von enthäuteten Menschenleichen; zerstückelte Rümpfe und abgetrennte Köpfe; das ironische und boshafte Grinsen eines Schädels, dessen Stirn- und Scheitelbein zertrümmert worden waren; ein Wirrwarr aus verfaulenden Eingeweiden, in denen es anscheinend von riesigen Larven oder Maden wimmelte; Vorder- und Rückansichten einer Frauenleiche, deren Fleisch von den darunterliegenden Muskeln und Sehnen losgerissen worden war und wie Streifen abblätternder Farbe von der im Stich gelassenen Kathedrale ihrer sterblichen Hülle hing. Seite um Seite makaberer, naturgetreuer Illustrationen von an Menschen verübten Verwüstungen, über die Lilly sich mit weiten Nasenlöchern und geröteten Wangen tief beugte, während ihre Augen vor voyeuristischem Entzücken leuchteten. Ihr Haar roch wie Jasmin, und das war ein verwirrendes Nebeneinander, der süße Duft ihrer Haare vor dem Hintergrund dieser ekelhaften Abbildungen.
    »Da ist es!«, hauchte sie. »Da ist mein Lieblingsbild!«
    Sie tippte mit dem Finger auf die Seite, wo in einer abscheulichen Parodie auf Leonardo da Vincis vitruvianischen Menschen der nackte Leichnam eines jungen Mannes dargestellt war, Arme und Beine ausgestreckt und der Kopf zurückgeworfen instummem Schrei, während aus dem Unterleib allem Anschein nach ein Tentakel oder vielleicht auch eine Schlange hervorbrach (möglicherweise handelte es sich aber auch um einige seiner Gedärme). Barmherzigerweise führte Lilly nicht weiter aus, weshalb sie diese Zeichnung so sehr mochte. Sie starrte sie einige Sekunden lang schweigend an, indes ihre Augen vor makabrem Staunen glänzten, bevor sie aufblickte. Ein Geräusch von unten hatte ihre Aufmerksamkeit erregt.
    »Sie streiten«, sagte sie. »Hörst du’s?«
    Ich hörte es – die durchdringende Stimme des Doktors, von Helrungs eindringliche Erwiderung.
    »Geh’n wir lauschen!« Sie schlug

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