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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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Muskel gerührt zu haben, aber seine Augen waren jetzt geöffnet, blutrot wie seine Lippen, und glänzten von einem Übermaß an Tränen.
    »Bist du es, Pellinore?«, fragte er, wobei er sich mit der Zunge über die eiternde Unterlippe fuhr.
    »Ich bin es«, sagte mein Herr, indem er sich dem Bett näherte.
    »Und wer ist das da bei dir? Nicht der kleine Philly.«
    »Will. Will Henry«, korrigierte der Doktor ihn und winkte mich näher heran.
    »Leine Killy«, sagte Chanler mit einem Zucken seiner leuchtenden Augen in meine Richtung. »Gratuliere, Willy Billy; er hat dich gefangen, aber er hat dich noch nicht umgebracht. Du weißt doch, dass das der Plan ist, oder? Genau wie deinen Vater wird er dich sterben sehen. Dann stiftet er deine Überreste der Gesellschaft – stellt dich im Bestienbunker aus, wo er all die ekelhaften Kreaturen hintut, die er fängt.« Er hustete. »Das ist der Ort, wo ihr ekelhaften Wesen alle hingehört.«
    »Ich bin enttäuscht von dir, John«, sagte Warthrop, ohne der deliriösen Schmährede Beachtung zukommen zu lassen. »Ich hatte eigentlich erwartet, dich inzwischen wieder auf den Beinen anzutreffen. Du hast gestern Abend ein exzellentes Gerangel verpasst.«
    »Wer hat den Einsatz gewonnen?«
    »Gravois.«
    »Dieses französische Eichhörnchen! Sag’s mir nicht – er hat auch den Buchmacher gespielt.«
    »Dann sage ich’s dir eben nicht.«
    »Weißt du noch, wie er sich einmal hinterm Orchester versteckt hat und der Tubaspieler sich auf ihn übergeben hat?«
    »Woraufhin ihm ebenfalls übel wurde.«
    »Und er hat seine Verabredung vollgekotzt – diese Tänzerin …«
    »Ballerina«, sagte Warthrop.
    »Ja, genau die. Mit den dürren Beinen.«
    »Du hast sie den ›Storch‹ genannt.«
    »Nein, das warst du.«
    »Nein. Ich habe sie Katarina genannt.«
    »Wieso hast du sie so genannt?«
    »Weil das ihr Name war.«
    Mit einiger Anstrengung gelang es Chanler zu lachen. »Verdammter Buchstabengläubiger! ›Storch‹ ist besser.«
    Geistesabwesend nickte der Doktor. »Ich habe voll und ganz damit gerechnet, dich dort zu sehen, John. Aber es scheint dir wieder schlechter zu gehen …«
    »Ich kann es nicht loswerden, Pellinore«, gab sein Freund zu. »Eine Zeit lang habe ich mich etwas besser gefühlt, und dann habe ich wieder einen Rückfall erlitten – wie Sisyphos und der Felsbrocken.«
    »Wie denkst du auch, soll es dir besser gehen, wenn du dich weigerst zu essen?«
    Ein wütender Ausdruck huschte über Chanlers Gesicht. »Wer hat dir das erzählt?«
    Warthrop warf einen Blick auf von Helrung, der seinen Patienten mit einer Miene angespannter Sorge musterte.
    »Warum kannst du nicht essen, John?«, hakte der Doktor nach.
    »Ich würde ja essen; hungrig genug bin ich, so hungrig, dass ich es kaum aushalten kann, aber sie wollen mir nichts geben !«
    »Aber John«, schalt von Helrung ihn. »Du weißt, dass das nicht wahr ist.«
    »Sag du mir wahr!«, rief Chanler. »Sag mir du wahr!« Er schloss die Augen und stöhnte frustriert. Er sprach mit großer Bedachtsamkeit, pflückte jedes Wort aus dem verworrenen Gestrüpp seiner Gedanken, bevor er ihm erlaubte, über seine Lippen zu kommen: »Sag … du … mir … nicht … was … wahr … ist.«
    »Alles, was du gerne hättest – alles. Du brauchst es nur zu nennen, und ich werde zusehen, dass du es binnen einer Stunde bekommst«, sagte Warthrop.
    Chanler war am Zittern. Aus seinen Augenwinkeln tropfte Flüssigkeit. Als der Doktor die Hand ausstreckte, um ihm die Träne wegzuwischen, zog sein Freund mit einem Ruck die Decke über sich. »Nicht! … mich berühren … Pellinore.«
    »Nenne es, John«, beharrte der Doktor.
    Chanlers Kopf wackelte von einer Seite auf die andere. Aus seinen Augen traten weitere Tränen aus; der Kissenbezug war fleckig davon. »Ich kann nicht.«
    Der Monstrumologe und von Helrung zogen sich zum Kamin zurück, um sich außer Hörweite zu beraten.
    »Das ist nicht zumutbar!«, sagte Warthrop von Helrung. »Der Mann braucht einen Arzt! Die einzige Frage ist, wirst du einen herholen oder soll ich?«
    »Das habe ich gehört!«, rief Chanler.
    »Sein Zustand liegt außerhalb der Sachkenntnis eines –«, begann von Helrung, aber davon wollte sein früherer Schüler nichts hören.
    »In genau diesem Augenblick sollte er im Bellevue sein und nicht hier bei diesem Halbaffen im Kolani dahinsiechen!«
    »Scheiße!«
    Die beiden Männer starrten den Fluchenden an.
    »Schlimmer als der Hunger, Pellinore!«, rief John

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