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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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gehört, dem alten Mann in den Wäldern.«
    »Jack Fiddler?«, fragte der Doktor.
    »Der olle Jack Fiddler zog an seiner Pfeife, schob sie sich in den Arsch und zündete sie an!«
    »Pellinore.« Von Helrung berührte den Doktor am Arm und flüsterte eindringlich: »Nicht mehr. Ruf den Krankenwagen, wenn du willst, aber treib es nicht –«
    Warthrop schüttelte die Hand ab und ging mit großen Schritten an Chanlers Seite zurück.
    »Du erinnerst dich an Fiddler«, sagte er zu ihm.
    Grinsend antwortete Chanler: »Seine Augen sehen sehr weit – viel weiter als deine.«
    »Und Larose? Erinnerst du dich an Pierre Larose?«
    Ich hörte einen Brocken desselben Unsinns, den er auch in der Wildnis deklamiert hatte: » Gudsnuth nesht! Gebgung grojpech chrishunct. « Warthrop wiederholte seine Frage mit lauter Stimme und fügte hinzu: »John, was ist Pierre Larose zugestoßen?«
    Abrupt veränderte sich Chanlers Verhalten. Ein Ausdruck tiefer Bestürzung – Augen, aus denen Tränen hervorquollen, diedicke Unterlippe bebend wie die eines Kindes, das mit einem unsäglichen Verlust konfrontiert wird – verwandelte sein vage tierisches Aussehen in eines von herzzerreißendem Gefühlsüberschwang.
    »›Man geht nicht hin und macht das, Mr. John‹, sagte er mir. ›Man geht nicht hin und guckt der Großen Dame unter die Röcke. Man sucht nicht in den Wäldern da oben nach Wesen, die nach einem suchen.‹«
    »Und er hatte recht, nicht wahr, John?«, fragte von Helrung, mehr im Interesse Warthrops als in seinem eigenen. Mein Herr schleuderte ihm einen vernichtenden Blick zu.
    » Er hat mich verlassen! «, jammerte Chanler. »Er hat es gewusst – und er hat mich verlassen!« Blutdurchsetzte Tränen krochen an seinen hohlen Wangen hinunter. »Weshalb hat er mich verlassen? Pellinore, du hast sie doch gesehen – die Augen, die nicht wegschauen. Den Mund, der auf dem hohen Wind schreit. Meine Füße stehen in Flammen ! O du lieber Christus, ich stehe in Flammen !«
    »Es hat deinen Namen gerufen«, murmelte von Helrung ermutigend. »Larose hat dich der Einsamkeit überlassen – und die Einsamkeit hat dich gerufen.«
    Chanler gab keine Antwort. Sein Mund, dessen Entzündungen von den Verzerrungen seiner Verzweiflung aufgerissen worden waren, glänzte von frischem Blut. Er starrte ausdruckslos an die Decke, und ich erinnerte mich an Muriel Chanlers Bemerkung: Er ist da … und er ist nicht da .
    » Gudsnuth nesht. Es ist kalt. Gebgung grojpech. Es brennt. Mach langsamer … Um der Liebe Christi willen, mach langsamer. Das Licht ist golden. Was haben wir gegeben?«
    Seine Hand kam unter der Decke hervor. Seine Finger schienen grotesk lang, die Nägel ausgezackt und überkrustet mit seinem eigenen Schmutz. Er griff verzweifelt nach dem Doktor, der die schrumplige Pfote in beide Hände nahm – und mit äußerstem Erstaunen sah ich Tränen in den Augen meines Herrn schimmern.
    » Was haben wir gegeben?« , wollte Chanler wissen. »Der Wind sagt, es ist nichts, nichts zu sagen. In der Mitte, im schlagenden Herzen – der Abgrund. Das gelbe Auge ungerührt. Das goldene Licht schwarz.«
    Der Doktor rieb seine Hand und murmelte seinen Namen. Erschüttert von der melancholischen Szene, wandte sich von Helrung ab. Er verschränkte die Arme vor der dicken Brust und senkte wie im Gebet den Kopf.
    »Du musst mich zurückbringen«, flehte der gebrochene Mann. »Mesnawetheno – er weiß es. Mesnawetheno – er wird mich aus der Scheiße ziehen.« Mit ungetrübter Feindseligkeit funkelte er den Doktor an. » Du hast ihn aufgehalten. Du hast mich Mesnawetheno geraubt. Wieso hast du das getan? Was hast du gegeben ?«
    Während diese Frage in der Luft hing, fiel John Chanler wieder in den Fiebertraum der Einsamkeit zurück – jenes grauen Landes, wo niemand uns vor dem Malmen der lautlosen Tiefen erretten kann.
    Warthrop brachte ihn nicht zurück zu Mesnawetheno; er brachte ihn im Krankenwagen ins Bellevue-Krankenhaus, während er mich in der Obhut von Helrungs zurückließ, mit der Anweisung – als gebe er sein Pferd in Pflege –, dass ich vor dem Zubettgehen gefüttert und ordentlich gebadet werden solle.
    »Ich werde ihn heute Nacht abholen kommen – oder, falls nicht, morgen früh.«
    »Ich will bei Ihnen bleiben, Sir!«, protestierte ich.
    »Davon will ich nichts hören.«
    »Dann warte ich eben im Hotel auf Sie!«
    »Es wäre mir lieber, wenn du nicht allein wärst«, sagte er mit vollkommen ehrlicher Miene, der Mann, der mich

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