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Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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blieben geschlossen, sein Gesichtsausdruck gelassen. Er war völlig sorgenfrei. »Nichts.«
    Was war los mit ihm? Rurick ist ein richtiger Unmensch, ein verdammtes, seelenloses Raubtier , hatte Arkwright gesagt. Warthrop musste denken, dass wir in diesem erbärmlichen Schuppen sicher waren, aber wir konnten nicht ewig hier sitzen bleiben.
    »Das wären zwei alte Bekannte«, sagte der Doktor. »Rurick ist vorn, also muss Plešec die Rückseite im Auge behalten.« Er machte die Augen auf und setzte sich gerade hin. Kleine Gipsstücke von der zerbröckelnden Wand regneten hinter seinem Stuhl auf den Boden.
    »Und da kommt Nummer drei!« Er beugte sich vor und stützte sich mit den Unterarmen auf den Knien ab. Seine Augen schimmerten im zittrigen Flackern der Gasflammen.
    Ein Mann in zerknittertem weißem Hemd und schwarzer Weste tauchte im Eingang neben der Bühne auf, neigte sich in der Taille ein wenig dem spärlichen Publikum zu und setzte sich ans Klavier. Er hob die Hände hoch über die Tasten, ließ sie einen dramatischen Moment lang dort schweben, dann krachend herunterfallen und eine übermütige Wiedergabe von »A Wandring Minstrel I« aus Der Mikado anstimmen. Das Instrument war schlimm verstimmt und die Technik des Mannes fürchterlich, aber er war ein ausgesprochen körperbetonter Musiker, der selbigen in seiner Gesamtheit in seine Bemühungen einbrachte. Die Pobacken hüpften auf dem wackligen Schemel rhythmisch auf und ab, während er im Takt vor und zurück schwankte, ein menschliches Metronom, ein Mann, der sein Klavier spielte, als würde er von ihm gespielt.
    Urplötzlich, ohne jede Überleitung, wechselte er zu Violettas Arie aus La Traviata , und eine Frau in einem verblassten roten Abendkleid erschien im Eingang, deren lange dunkle Haare ungehindert über die nackten Schultern wallten. Ihr Gesicht war dick geschminkt; dennoch war sie eine bemerkenswerte Frau am Scheitelpunkt ihrer Lebensmitte, wie ich schätzte, mit funkelnden schokoladebraunen Augen, die, wie die so vieler italienischer Frauen, von Verheißung ebenso wie von Gefahr kündeten. Ich kann nicht behaupten, dass ihre Stimme sich auf das Niveau ihres Aussehens emporschwang; genau genommen war sie nicht einmal besonders gut.
    Ich warf einen verstohlenen Blick auf den Monstrumologen, der im Zustand völliger Verzückung lauschte. Ich fragte mich,was ihn wohl so bezauberte; ihr Gesang konnte es nicht gewesen sein.
    Am Ende des Lieds schlug er auf den Tisch und rief: »Bravo! Bravissimo! «, während die anderen Gäste höflich klatschten und sich dann wieder still ihren Flaschen widmeten. Die Frau sprang leichtfüßig von der Bühne und rauschte geradewegs auf uns zu.
    »Pellinore! Lieber, lieber Pellinore!« Sie küsste ihn leicht auf beide Wangen. » Ciao, amore mio. Mi sei mancato tanto. « Sie ließ die Hand über seine bärtige Wange gleiten und fügte hinzu: »Aber was ist das?«
    »Gefällt er dir nicht? Ich finde, er lässt mich distinguiert aussehen. Veronica, das ist Will Henry, James’ Sohn und meine jüngste acquisizione .«
    »Acquisizione!« Ihre braunen Augen tanzten vor Entzücken. » Ciao, Will Henry, come sta? Ich habe deinen Vater gut gekannt. È molto triste. Molto triste! Aber, Pellinore, perché sei qui a Venezia? Lavoro o piacere?« , fragte sie und ließ sich auf den Stuhl neben ihm gleiten. In diesem Moment kam unser Kellner mit dem spritz des Doktors zurück. Veronica schnippte ihm mit den Fingern zu, und er ging und kehrte Augenblicke später mit einem Glas Wein wieder.
    »Es ist immer wieder ein Vergnügen, in Venedig zu sein«, antwortete der Monstrumologe. Er hob sein Glas, um ihr zuzuprosten, trank jedoch nichts.
    Sir richtete diese lachenden Augen erneut auf mich und sagte: »Das Aussehen eines farabutto, die Worte eines politico !«
    »Veronica sagt, sie mag meinen neuen Backenbart«, sagte der Doktor als Antwort auf meinen ratlosen Blick.
    »Er lässt dich alt und müde aussehen«, meinte sie naserümpfend.
    »Vielleicht ist es nicht der Bart«, erwiderte Warthrop. »Vielleicht bin ich alt und müde.«
    »Müde, sì. Alt, niemals! Du bist keinen Tag gealtert, nicht eine Stunde, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe. Wie lange ist es jetzt her? Drei Jahre?«
    »Sechs«, antwortete er.
    »Nein! Schon so lange? Dann ist es ja kein Wunder, dass ich so einsam gewesen bin!« Sie wandte sich an mich. »Du wirst es mir verraten, ja? Was führt den großen Pellinore Warthrop den weiten Weg nach Venedig? Er

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